Einstellung des Angriffs auf Verdun 193
von Divisionen im Gange. Man hatte darin so viel getan, wie eben
möglich, aber es war alles noch im Werden.
Die Munition wurde immer knapper. Die Oberste Heeresleitung be—
kam sie vom Kriegsministerium in Form von Munitionszügen. Ich habe
diese selbst täglich auf die Armeen verteilt. Ich erfuhr, was sie haben woll-
ten, und wußte, was ich geben konnte. Es war eine überaus traurige und
auch menschlich qualvolle Aufgabe.
Die Verhältnisse an der Westfront waren in einer Weise gespannt, wie
ich es nicht vermutet hatte, aber ich übersah sie noch nicht einmal in ihrer
vollen Schärfe. Das war gut. Der wichtige Entschluß, noch mehr Divi-
sionen dem schwer ringenden Westen zu nehmen und dem Osten zuzuführen,
um hier die Lage in offensivem Sinne wiederherzustellen und Rumänien
einen entscheidenden Schlag zu versetzen, wäre sonst zu schwer geworden.
Der Generalfeldmarschall und ich beabsichtigten, sobald als möglich nach
dem Westen zu fahren, um die Verhältnisse an Ort und Stelle anzusehen.
Unsere Aufgabe war, die Verteidigung straffer zu organisieren und zu
helfen. Vorher aber wurden noch Divisionen gegen Rumänien bereit-
gestellt und von Seiner Majestät der schwerwiegende Befehl zur Einstel-
lung des Angriffs auf Verdun erwirkt. Dieser hätte abgebrochen werden
müssen, als er den Charakter der Zermürbungsschlacht annmahm. Der Gewinn
stand nicht mehr im Einklang mit den Verlusten. In der Verteidigung
mußten wir selbstverständlich die uns aufgedrungene Zermürbungsschlacht
aushalten.
Auch an der italienischen Front hatte sich die Lage verschlechtert. Im
Norden waren die k. u. k. Truppen schon im Juli auf die Höhen nördlich
Asiago—Arsiero zurückgegangen und hatten im August bei einem neuen
Isonzo-Angriff lange behauptete Stellungen aufgeben müssen, Görz und
ein Teil der südlich davon gelegenen Karsthochfläche von Doberdo waren
in den Besitz der Italiener gekommen. Auch hier hatte die k. u. k. Armee
an Kampfkraft und Kampfwillen Einbuße erlitten. General v. Conrad,
den wir schon in den ersten Tagen sahen, meinte, die Armee hätte nun bereits
11 Jahr die Grenze geschützt und würde es weiter tun. Mehr könne er
nicht sagen. Sehr trostreich war dies an und für sich nicht.
Der Generalfeldmarschall Prinz Leopold von Bayern hatte die deut-
sche Ostfront übernommen, Oberstleutnant Hoffmann hatte ich als meinen
Nachfolger in meiner bisherigen Stellung erbeten; ich wußte, daß dann
in gewohnter Weise weitergearbeitet würde. Die bisherige Heeresgruppe
des Prinzen erhielt General v. Woyrsch unter Beibehalt seiner Armee.
Wir sahen den weiteren Kämpfen dort mit gewisser Ruhe entgegen, auch
wenn die Spannung, namentlich bei der Heeresgruppe Linsingen noch
keineswegs überwunden war.
Kriegserinnerungen 1914—18. 13