194 Der Entente-Ansturm im Herbst 1916
Die Heeresgruppe Erzherzog Karl hatte noch keinen Halt gewonnen.
Wir mußten hier auf weitere Rückschläge gefaßt sein.
Nach der Kriegserklärung Rumäniens gewannen die Karpathen andere
Bedeutung. Die Umfassung unseres Südflügels brauchte sich nicht mehr
zwischen dem Dujestr und der Moldau durchzuzwängen, sie hatte jetzt in
ganz Rumänien eine breite Ausgangsbasis und konnte ungemein wirkungs-
voll werden.
Österreich-Ungarn hatte zum Schutze seiner rechten Flanke und Sieben-
bürgens im Frieden und Kriege nichts getan. Das Bahnnetz war dürftig,
die Leistungsfähigkeit der wenigen Strecken überaus gering. Befestigungen
waren nicht angelegt, um Rumänien nicht zu „reizen". Dagegen hat Öster-
reich-Ungarn ruhig zugesehen, wie es auf siebenbürgischem Boden, hart an
der Grenzlinie, Werke schuf.
Schwache Truppen wurden im letzten Augenblicke dort hingeworfen
und auch aus Bergwerksarbeitern Bataillone gebildet. Es klaffte aber
überall eine gähnende Leere. Im Norden schoben sich russische, im übrigen
rumänische Truppen über die Grenze der Moldau und Walachei bis
hinab zur Donau nach Siebenbürgen und Ungarn hinein vor. Die wich-
tigen Gebirgsübergänge fielen ohne Schwertstreich in feindliche Hand,
Kronstadt und Petroseny mit seinen Kohlengruben wurden schon am
29. August besetzt. In Hermannstadt erschienen sehr bald rumänische
Patrouillen. Orsowa wurde vom Feinde genommen. Blieben die Rumänen
in ununterbrochenem Vormarsch, so war nicht nur die Heeresgruppe Erz-
herzog Karl vollständig umfaßt, auch der Weg ins Herz Ungarns und gegen
unsere Verbindungen nach der Balkanhalbinsel war frei: Wir waren besiegt.
Es trat an uns die mühevolle Aufgabe heran, die Fronten im Westen
und Osten gegen alle feindlichen Angriffe zu halten, dabei die Heeresgruppe
Erzherzog Karl zu festigen und gegen Rumänien zu einem Aufmarsch zu
kommen, der die Verteidigung gewährleistete und den übergang zum An-
griff gestattete. Die Arbeit wurde in der Ausführung um so sorgenvoller,
als die Heeresgruppe Erzherzog Karl stets von neuem Kräfte bean-
spruchte, die eigentlich nach Siebenbürgen sollten. Die Oberste Heeresleitung
mußte sich entschließen, immer mehr Divisionen an anderen Stellen freizu-
machen. Der Aufmarsch gegen Rumänien schob sich hinaus. Der West-
front war nichts mehr zu entnehmen. Der Oberbefehlshaber Ost erhielt die
Weisung, an verschiedenen Stellen seiner schwach besetzten Front Truppen-
teile herauszuziehen und neue Divisionen zusammenzustellen. Der Ent-
schluß, unsere operative Überlegenheit gegenüber der Entente auszunutzen
und die Rumänen im freien Felde anzugreifen, war das einzige, was fest-
stand. Wie und wann er durchgeführt werden konnte, war Anfang Sep-
tember noch nicht zu übersehen.