Full text: Ludendorff, meine Kriegserinnerungen 1914-1918

292 Die Grundlage der weiteren Kriegführung und das Kriegsinstrument 
  
VII. 
Für die Erhaltung der Stimmung im Innern war der Reichskanzler 
verantwortlich. Gern hätte die Oberste Heeresleitung das Volk unmittel- 
bar aufgeklärt. Sie wandte sich aber stets pflichtmäßig an den Reichs- 
kanzler und bat um sein Handeln. « 
Er hatte den leider nur zu berechtigten Ursachen zur Mißstimmung im 
Volke den Boden zu entziehen und namentlich gegen die Ausschreitungen 
und Auswüchse in der Kriegswirtschaft vorzugehen. Sie mußten mit ihren 
bedenklichen Begleiterscheinungen die Unzufriedenheit nur zu sehr erregen 
und die Moral weitester Gesellschaftsschichten in einer Weise schwächen, 
die unserer Kriegsfähigkeit unermeßlichen Schaden zufügte. Gewinn- 
und Genußsucht, das Denken an das eigene Ich überwucherten alle edlen 
Regungen, aber auch die Not stumpfte ab. Am Feinde im Schützengraben 
stehende Männer mußten befürchten, daß andere ihnen ihre frühere 
Stellung und den Erwerb nähmen. Nur mit tiefer Bewegung kann man 
rückschauend sehen, wie das deutsche Empfinden der Wahrhaftigkeit und 
Redlichkeit, der makellosen persönlichen Reinheit und des Aufgehens in 
dem Gedanken an das Vaterland verloren gingen und etwas ganz anderes, 
deutschfremdes entstand, das eigene Wohlbefinden wurde das höchste Gesetz 
des Lebens. 
Der Reichskanzler hatte dem deutschen Volk zu sagen, wohin es 
steuerte, hatte ihm den ganzen hohen Ernst seiner Lage auseinanderzusetzen. 
Die Regierung mußte dem Volk immer wieder klarmachen, um was es 
ging, daß ein erträglicher Frieden nur von einem geschlagenen Feinde zu 
erhalten sei, daß wir sonst unter einen Gewaltfrieden kämen. Nur der 
Sieg schütze uns vor diesem und brächte uns jenen. 
Unsere politische und geistige Unreife und Urteilslosigkeit, die uns die 
Hohlheit der Schlagworte und unerfüllbarer Versprechungen nicht erkennen 
lassen, wurden und sind unser Unglück. Ich hatte immer wieder gehofft, 
daß das deutsche Volk sich durchringen würde durch Phrase, Schlagwort 
und politische Verlogenheit zu einer Auffassung der Dinge, die der harten 
Wirklichkeit entsprach. Ich habe mich getäuscht. Phrase und Schlagwort 
und verbrecherische Vorspiegelungen herrschten immer mehr vor, je schärfer 
der innerpolitische Kampf entbrannte, je mehr sich die Kluft zwischen den 
Berufsständen, zwischen Stadt und Land, vertiefte. Die Partei und ihre Ziele 
galten bald mehr als das Vaterland. Die breite Masse des Bürgertums 
ging in ihrer Vielköpfigkeit, ihrem Immerallesbesserwissen und ihrer Diszi- 
plinlosigkeit eigene Wege und hielt sich in geistigem Hochmut, in ängstlicher 
Zurückhaltung und Charakterlosigkeit abseits. Auch ihr mangelte Verant- 
wortlichkeitsgefühl dem Vaterlande gegenüber. Sie bedachte nicht, welchen
	        
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