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deutenden Soldaten bis zu seinem Tode. Sein Stabschef war Oberst Graf
v. Lambsdorff, ein ausgezeichneter Offizier, der sich bei Lüttich und später
große Verdienste erwarb.
Am 4. August früh erfolgte der Vormarsch über die belgische Grenze,
während in Berlin sich der Reichstag in vaterländischer Kundgebung hinter
die Regierung stellte und die anwesenden Parteiführer nach Verlesung
der Thronrede dem Kaiser feierlich durch Handschlag das Gelöbnis unbe-
dingter Treue durch helle und dunkle Tage ablegten. Am gleichen Tage
machte ich bei Visé, hart an der holländischen Grenze, mein erstes Gefecht
mit. Es war ganz klar, daß Belgien auf unsern Einmarsch seit langem vor-
bereitet war. Die Straßen waren so planmäßig zerstört und gesperrt, wie
es nur bei anhaltender Arbeit möglich war. An der belgischen Südwest-
grenze haben wir nichts von ähnlichen Sperren entdecken können. Warum
hat Belgien gegen Frankreich nicht die gleichen Maßnahmen ergriffen?
Die Frage, ob wir die Brücken bei Visé unversehrt besetzen würden,
war von besonderer Bedeutung. Ich begab mich zu dem Kavallerie=
korps v. der Marwitz, das dorthin angesetzt war. Es kam nur langsam vor-
wärts, da ein Verhau nach dem andern die Straße sperrte. Auf meine
Bitte wurde eine Radfahrer-Kompagnie vorgeschickt. Bald darauf kam ein
Radfahrer zurück: die Kompagnie wäre nach Visé hineingefahren und voll-
ständig vernichtet. Ich machte mich mit zwei Mann dorthin auf und
fand zu meiner Freude die Kompagnie unversehrt, nur der Führer war
gerade durch einen Schuß vom anderen Maasufer her schwer verwundet.
Die Erinnerung an diese kleine Episode hat mir später geholfen. Ich wurde
unempfindlicher gegen Tataren= oder, wie es später hieß, Etappen-
gerüchte.
Die schönen, großen Maasbrücken bei Visé waren zerstört: Belgien
war auf den Krieg eingestellt.
Am Abend war ich in Hervé, meinem ersten Quartier auf feindlichem
Boden. Wir übernachteten in einem Gasthof gegenüber dem Bahnhof.
Alles war unversehrt. Wir legten uns ruhig schlafen. In der Nacht er-
wachte ich durch ein lebhaftes Geschieße, auch gegen unser Haus. Der Frank-
tireurkrieg in Belgien begann. Er lebte am nächsten Tage allerorts auf
und hat so ausschlaggebend zu der Erbitterung beigetragen, die diesen Krieg
im Westen, im Gegensatz zu der Stimmung im Osten, in den ersten Jahren
kennzeichnen sollte. Die belgische Regierung hat eine schwere Ver-
antwortung auf sich geladen. Sie hat den Volkskrieg planmäßig organi-
siert. Die Garde civique, die im Frieden ihre Waffen und Uniformen
hatte, konnte einmal in diesem, dann in jenem Gewande auftreten. Auch
die belgischen Soldaten müssen zu Beginn des Krieges noch einen besonde-
ren Zivilanzug im Tornister mitgeführt haben. Ich sah auf der Nordost-