Full text: Ludendorff, meine Kriegserinnerungen 1914-1918

VDerucche olniche Angrihe 345 
  
V. 
Was wir mit Sicherheit angenommen hatten, war eingetreten: die 
russische Revolution schwächte die Kampfkraft des Heeres. Der Friedens- 
gedanke schien in Rußland Boden zu gewinnen. Die Stellung der neuen 
russischen Regierung und des russischen Volkes und Heeres zu ihm war 
indes nicht einheitlich. Der Minister der auswärtigen Angelegenheiten, Mil- 
jukow, verlangte Fortsetzung des Krieges und Umformung der Karte 
Europas auf Kosten des Vierbundes, andere Minister sprachen von einem 
Frieden ohne Annexionen und Kontributionen und vom Selbstbestim- 
mungsrecht der Völker. Von allen wurde das Festhalten an dem Bündnis 
mit den Ententemächten betont. Mit ihrer zielbewußen Arbeit gegen jede 
Friedensströmung in Rußland war zu rechnen. Für ein Nachlassen ihres 
Vernichtungswillens gegen uns ergab sich nicht der geringste Anhalt. 
Das Verhalten der russischen Truppen war stellenweise entgegenkom- 
mend; wir gingen gern darauf ein. An anderen Frontteilen blieb eine 
Gefechtstätigkeit bestehen; wir vermieden sie indes auch hier. 
Die Gesamtkriegslage war in den Monaten April und Mai bis in 
den Juni hinein nicht danach angetan, eine größere Kampftätigkeit an 
der Ostfront zu suchen; auch die Reichsleitung fürchtete, es könnte durch 
einen Angriff unserseits die Zersetzung Rußlands aufgehalten werden. An- 
fang April, als die Verhältnisse dort in voller Entwicklung waren, führte 
die Heeresgruppe Linsingen einen örtlichen Angriff gegen einen aus 
den Kämpfen des Jahres 1916 am Stochod nordöstlich Kowel verbliebenen 
Brückenkopf aus. An und für sich war es ein bedeutungsloses Unter- 
nehmen, doch war die Zahl der russischen Gefangenen so erheblich, daß auch 
ich verwundert war. Der Reichskanzler trat an mich mit dem Ansuchen 
heran, aus diesem Erfolge möglichst wenig zu machen. Ich ging, wenn 
auch ungern, auf seinen Wunsch ein. Die Truppe, die den Angriff aus- 
geführt hatte, verdiente dies nicht. In der Presse haben unsere zurück- 
haltenden Außerungen über unseren Kampf am Stochod verschiedentlich 
Befremden erregt. Ich konnte dies verstehen, hielt es aber für meine 
Pflicht, den Wünschen des Reichskanzlers nachzukommen, um wirklich vor- 
liegende Friedensaussichten nicht zu stören. Die Oberste Heeresleitung 
verbot weiterhin jede Kampfhandlung. 
Mit dem schärferen Hervortreten Kerenskis im Mai wuchs die große 
Gefahr, daß sich die russische Armee wieder festige. England, Frankreich 
und die Vereinigten Staaten sparten keine Anstrengung, um dies Ziel zu 
erreichen. Diesem gegenüber wurde die Lage im Großen Hauptquartier 
oft genug dahin besprochen, daß ein schneller Angriff an der Ost- 
front mit Divisionen, die der Oberbefehlshaber Ost bereitstellen konnte,
	        
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