Full text: Ludendorff, meine Kriegserinnerungen 1914-1918

Russische Angriffspläne 345 
  
verstärkt durch einige Westdivisionen, besser sei als ein Zusehen:; 
jetzt wäre es noch Zeit, die russische Armee in verminderter Kampf- 
kraft zu treffen. Ich ging nicht darauf ein, obschon sich die Lage im Westen 
gebessert hatte. Ich wollte nichts tun, um selbst nur dem Schein nach eine 
wirkliche Friedensmöglichkeit zu stören. Auch militärisch war dies Handeln 
berechtigt, weil jede Revolution an der Kampfkraft eines Heeres frißt 
und es zersetzt. Allerdings wurde ich bedenklich, ob dies zuträfe, als am 
1. Juli der russische Angriff zunächst in Galizien begann. Die Zeit uner- 
quicklichen Abwartens im Osten war zu Ende. Jetzt war die Oberste Heeres- 
leitung durch nichts beschränkt und hatte volle Freiheit des Handelns. 
Der russische Angriff war großzügig geplant. Aus dem Rigaer 
Brückenkopf, bei Dünaburg, am Narotsch-See, bei und südlich Smorgon 
und in ganz Ost-Galizien, von der Bahn Tarnopol—Zborow—Lemberg 
an bis an die Karpathen heran, sollte angegriffen werden. Hier im 
Süden lag der Schwerpunkt der Handlung. 
Dem Oberbefehlshaber Ost waren Ende Juni die Angriffsabsichten 
nicht verborgen geblieben, zahlreiche Überläufer kündeten sie an. Er traf 
alle Abwehrmaßnahmen. Um einen von ihm erstrebten Gegenstoß zu 
führen, brauchte er Verstärkungen aus dem Westen. Hier war es zwar 
augenblicklich ruhiger, aber es mußte angenommen werden, daß die 
Kämpfe weitergingen. Wie es dort auch kam, die Oberste Heeresleitung 
mußte die Lage im Osten ausnutzen, wie sie sich ihr bot. Um, wenn 
es irgendwie ging, mit Rußland entscheidend abzurechnen und so nach einer 
Seite hin freie Hand zu bekommen, wurden sechs Divisionen im Westen für 
den OÖsten freigemacht. Mehr war zur Zeit nicht möglich. Die Offiziere, die 
an der Westfront befehligten, gaben die Divisionen nur ungern für den 
Osten her. Sie konnten nicht die Größe des Zieles erkennen. 
Die günstigste Stelle für einen Angriff an der Ostfront war, nächst 
einem Dünaübergang oberhalb Riga, die Linie Zborow—Sereth-Niede- 
rung in Ost-Galizien. Von hier konnte eine Umfassung der südwärts 
stehenden Teile des russischen Heeres erstrebt werden. Diesen Gedanken 
wollte der Oberbefehlshaber OÖst jetzt zur Tat umsetzen. Die Oberste 
Heeresleitung konnte damit einverstanden sein. Wie nun der Angriff 
verlaufen, wie er sich auswerten würde, ob als Operation, wie ich im 
stillen hoffte, ob nur als taktischer Gegenstoß, und wie die russische, aber 
auch die k. u. k. Arme sich überhaupt schlagen würden, das blieben Fragen, 
deren Lösung ich mit größter Spannung harrte. 
Der russische Angriff in Ost-Galizien erfolgte mit größtem Munitions= 
aufwand und in dichten Massen; wo k. u. k. Truppen standen, hatte er 
Erfolge, deutschen und türkischen gegenüber nicht. Am 1. Juli brachen 
zwischen Zborow und Brsheshany starke russische Kräfte in die dortige öster-
	        
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