Graf Czernins Ansichten über den Frieden 355
Die leitenden Staatsmänner glaubten nicht an den Sieg, fanden nicht
den Weg zum Frieden und blieben trotzdem im Amt!
VI.
Die inneren Vorgänge in Deutschland im Frühjahr und Sommer 1917
habe ich, wie jede Schwächeäußerung, im Interesse der Kriegführung und
des Friedens ungemein bedauert. Rückschauend kann ich sagen: unser
Niedergang begann offensichtlich mit dem Ausbruch der Revolution in Ruß-
land. Auf der einen Seite beherrschte die Regierung die Sorge vor ähn-
lichen Zuständen wie dort, auf der anderen das Gefühl der Unfähig-
keit, die breite Masse des Volkes mit neuer Kraft zu erfüllen und ihren
aus unendlich zahlreichen Gründen nachlassenden Kriegswillen zu stählen.
Gewiß erschwerten die Unsicherheit unserer Kriegslage und später das
Ausbleiben des von anderen Stellen leider zu sicher angenommenen Er-
folges des U-Bootkrieges das Heben der geistigen Spannkraft. Es war
gar nicht zu verkennen, daß sie darunter litt. Aber schließlich war im
Sommer 1917 infolge des Niedergangs Rußlands unsere militärische Lage
besser als die der Entente. Wir konnten mit Recht hoffnungsfreudig sein.
Unser seelischer Verfall hatte auch andere Ursachen. Es fehlte die Entschluß-
kraft der Regierung, Mißstände mit starker Hand zu beseitigen. Hierneben
stand der Reichstag ohne geschlossenen Willen, teils um unsere Zukunft
aufrichtig besorgt, teils allein aus eigennützigen Gründen bestrebt, Macht
zu gewinnen. «
Am 7. April erschien ein Erlaß Seiner Majestät, der das Wahlrecht
in Preußen betraf. Ich erfuhr von dem Schritt erst nach seiner Bekannt-
gabe. Der Kaiser, aber auch der Reichskanzler v. Bethmann, sprachen nie
über innere Angelegenheiten mit mir. Ich hatte ein solches Gespräch auch
nicht zu suchen, da mir innere Politik fern lag.
Der Zusammenhang des Wahlrechtserlasses mit der russischen Revo-
lution war zu offensichtlich. Das war das Bedenkliche. War eine Ande-
rung des Wahlrechts — und dies war zweifellos der Fall — nötig, dann
mußte sie vor dem Kriege, spätestens im August 1914, als ein freier Ent-
schluß einer starken Regierung mit erhabener Geste gegeben werden. Die
Regierung stellte jetzt zudem die Krone in den Mittelpunkt der politischen
Erörterung, anstatt sie aus dem Parteigetriebe fernzuhalten. Der Schritt
befriedigte außer engen Volkskreisen nur den Feind, der mit Genugtuung
die Ursache erkannt haben wird. Die Regierung hätte sich bei jedem
Schritt, den sie tat, immer wieder fragen müssen: wie wirkt er nicht nur
auf das eigene Land, wie wirkt er auf die Stimmung der feindlichen
Völker? Während des Krieges mußten auch die inneren Fragen durch den
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