Full text: Ludendorff, meine Kriegserinnerungen 1914-1918

Das preußische Wahlrecht 33517 
  
russischen Revolution, im Reichstage in erhebender Weise betont worden 
war. Immer schärfer drang, in vollständigem Verkennen des Vernich- 
tungswillens des Feindes, der Gedanke nach einem Versöhnungsfrieden 
in das deutsche Volk; er wurde besonders von denen begierig aufsgenommen, 
die von einem Siege Gefahren für ihr innerpolitisches Begehren be- 
fürchteten. In den Monaten Mai und Juni fanden zur vermeintlichen 
Förderung des Friedens, von der Regierung begünstigt, viele Reisen von 
Abgeordneten nach Stockholm, Österreich= Ungarn und der Schweisz statt. 
Wir gingen dort in die von der Entente bereiteten Fallen. Ich war gegen 
diese Reisen, ebenso der Oberbefehlshaber in den Marken. Eine Ent- 
scheidung des Kaisers sprach sich für die Reisen aus. Der stellvertretende 
Generalstab in Berlin mußte die Pässe ausstellen. Auch Graf Czernin 
entsandte die Sozialistenführer Österreich= Ungarns nach Stockholm. 
Von hier aus sollten, gestützt auf die russische Revolution, die Arbeiter- 
massen der feindlichen Staaten aufgerufen werden, damit auch sie die 
„Versöhmung der Menschheit“ verkündeten und durchsetzten. Diese Be- 
strebungen zeugten nicht von Menschenkenntnis und trugen in keinem Fall 
der Psyche der feindlichen und eigenen Völker Rechnung; wohl aber ver- 
folgten sie zum Teil ausgesprochen revolutionäre Zwecke. Beim Feinde 
wurde kein Eindruck hervorgerufen, dagegen bei uns im Lande und in 
Österreich-Ungarn der Kriegswille immer mehr geschwächt. Das Vertrauen 
auf die eigene Kraft ging verloren. Immer mehr ließ sich die Regierung 
die Leitung der Regierungsgeschäfte aus der Hand nehmen, und zwar, was 
noch viel schlimmer war, nicht vom Volk in seiner Gesamtheit, sondern von 
bestimmten ihrer ganzen geschichtlichen Vergangenheit nach nur kritisieren- 
den, nicht aufbauenden Gruppen. 
Der Entente waren solche Versammlungen und alles Gerede ihrer 
Feinde vom Verständigungsfrieden nur zu recht. Sie gaben ihr Aufschluß 
über unser Denken. Sie aber ließ in richtiger Einschätzung der Volkspsyche 
keine Sozialistenführer reisen und fühlte sich durch nichts gebunden. Sie 
verfolgte ganz andere Ziele. Frankreichs Gedanken, Deutschland zu ver- 
nichten, gab Ministerpräsident Ribot im Sommer 1917 so klaren Aus- 
druck, daß kein Mißverständnis möglich war, wenn man sich ihm nicht 
absichtlich hingab. Kein Mensch mit nur einigermaßen Wirklichkeitssinn 
konnte bezweifeln, daß alle schönen Schlagworte für die Entente nur Aus- 
hängeschilder bedeuteten, die die Masse betören, der Gewalt aber nur den 
Schein des Rechts geben sollten. Regierung, Reichstag und der größte Teil 
des Volkes nahmen alles für bare Münze. Im Reichstag drohten sozialde- 
mokratische Abgeordnete, das erste Mal im Kriege, offen mit der Revolution. 
Der „Helotenfriede“, von dem der Reichskanzler in diesen Tagen der 
Obersten Heeresleitung gegenüber sprach, der kommen würde, wenn wir
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.