Der Stimmungsniedergang in der Heimat 359
Inzwischen hatte der Generalfeldmarschall am 27. Juni an den Kaiser
selbst geschrieben:
„Die schwerste Sorge ist aber augenblicklich das Sinken der Stimmung
im Volke. Sie muß gehoben werden, sonst verlieren wir den Krieg. Auch
unsere Bundesgenossen bedürfen einer starken Rückenstärkung, sonst ist die
Gefahr vorhanden, daß sie abfallen. Dazu gilt es, im Innern die schwie-
rigsten wirtschaftlichen und für die Zukunft bedeutsamsten Fragen zu
lösen ... Es entsteht die Frage, ob der Kanzler zur Lösung dieser Fragen
— und sie müössen richtig gelöst werden, sonst sind wir verloren — im-
stande ist.“"
Den äußeren Ausdruck fand die Minderung unserer geistigen Kriegs-
fähigkeit in der Sitzung des Reichstags-Hauptausschusses vom 6. Juli.
Nach einer uns vollständig überraschenden Rede des Abgeordneten Erz-
berger, in der er die völlige Aussichtslosigkeit des U-Bootkrieges behaup-
tete und die Möglichkeit bestritt, den Krieg überhaupt zu gewinnen, brach
die Stimmung im Reichstage vollständig zusammen. Der Reichskanzler
hatte sich, so schien es, bei seinem überraschenden Meinungswechsel am
5. Juli einer Täuschung hingegeben. Klar trat in die Erscheinung, wohin
wir im Innern bereits getrieben waren, wo wir schon standen. Ging es
in Deutschland so weiter, geschah nichts für die Ermutigung und seelische
Stärkung des Volkes, so war der kriegerische Niedergang in der Tat un-
ausbleiblich.
Der Kriegsminister teilte unsere Anschauungen über die schädliche
Wirkung der Berliner Vorgänge auf unsere militärische Lage und hielt
einen diesbezüglichen Vortrag des Generalfeldmarschalls bei Seiner Ma-
jestät dem Kaiser für notwendig. Der Generalfeldmarschall und ich be-
gaben uns daraufhin noch am 6. abends nach Berlin. Der Kaiser sah in-
des die Vorgänge daselbst als eine ausschließlich innere Angelegenheit an,
die die militärischen Stellen nicht berühre, die zudem durch den Kriegs-
minister verfassungsmäßig vertreten wären. Unsere Anwesenheit in
Berlin am 7. verlief daher nach jeder Richtung hin ergebnislos. Wir
kehrten abends nach Kreuznach zurück.
Die Lage in Berlin verschärfte sich. Am 8. Juli stimmte der Reichs-
kanzler, obschon er damals den Vernichtungswillen des Feindes richtig
einschätzte, den Mehrheitsparteien zu der von ihnen beabsichtigten
Friedensresolution zu und stellte ihnen gleichzeitig die Einführung des
Reichstagswahlrechts für die Wahlen zum preußischen Abgeordnetenhaus
in bestimmte Aussicht. Beides mußte diesen Willen des Feindes ins Un-
ermeßliche steigern. Am 10. nachmittags fühlte sich der Reichskanzler ver-
anlaßt, sein Abschiedsgesuch einzureichen, das aber am 11. vormittags
abgelehnt wurde.