Full text: Ludendorff, meine Kriegserinnerungen 1914-1918

Die Kanzlerkrise 361 
  
Die unmenschlichen Mißhandlungen unserer Kriegsgefangenen, die 
doch Fleisch von unserem Fleisch sind, durften kein Gefühl erwecken, das 
sich nach außen — natürlich nicht gegen die in unserer Hand befindlichen 
Gefangenen richtete — statt dessen wurde jede Zornesäußerung unter- 
drückt und Verbitterung gesät. 
Der Reichskanzler stellte sich nicht vor seinen kaiserlichen Herrn, als 
Wilson bei Eintritt der Vereinigten Staaten in den Krieg den Versuch 
machte, sich zwischen Kaiser, Fürsten und Volk zu stellen. Der Reichstag 
widersprach, aber der Reichskanzler schwieg. Er rief nicht das Volk 
auf zur Verteidigung des monarchischen Gedankens, der damals noch wie 
heute fest in Millionen deutscher Herzen wurzelt — statt dessen hinderte er 
es nicht, daß die Axt angelegt wurde an das Kaisertum und des Reiches 
Herrlichkeit. 
Es fehlte der politischen Führung überdies die starke Hand, die kraft- 
voll regierte. Die Masse des Volkes wollte damals noch nicht billige 
Schlagworte, sie wollte die überzeugung haben, daß in der Lebenshaltung 
und Lebensführung keine Übervorteilungen vorkämen, daß hierin wirklich 
alles nach Gerechtigkeit und Billigkeit geschähe; sie wollte auch Frieden, aber 
nie einen Frieden, wie wir ihn jetzt erleben und auch damals erhalten haben 
würden. Es fehlte der Regierung der Wille zum Siege, es fehlte der Glaube 
an deutsche Kraft, die sich während drei Jahren doch so glänzend offenbart 
hatte und jetzt nur wegen Mangel an Führung ins Wanken geraten war. 
So erhielt das Heer nicht das, was es zum Siege auf dem Schlachtfelde 
gebrauchte. Ich glaubte nicht mehr, daß unter dem jetzigen Reichskanzler 
ein Wandel einträte. Die Hoffnung, die ich bei meinem Eintritt in die 
Oberste Heeresleitung gehabt hatte, in vollster Uübereinstimmung mit dem 
Reichskanzler für den Sieg zu arbeiten, war zusammengebrochen. Ich 
schrieb deshalb mein Abschiedsgesuch. 
Die in Preußen-Deutschland schwebenden Verfassungsfragen berührten 
mein dienstliches Handeln nicht. Persönlich sah ich die Scheidewand, die 
der Reichskanzler zwischen dem Monarchen und dem Volk errichtete, für 
bedauerlich an. Der Kaiser lernte zu wenig Menschen kennen. Verschie- 
dentlich, wenn auch vergebens, hatte ich den Reichskanzler v. Bethmann 
gebeten, ihn mit führenden Männern zusammenzubringen. Das konnte 
nur einem guten Ausgleich dienen. Die etwaige Aufnahme parlamenta- 
rischer Staatssekretäre in das Kabinett schien mir deshalb nicht unzweck- 
mäßig. Ich hoffte auch, daß durch sie das Vaterland eher das für den 
Krieg erhalten würde, was es so dringend brauchte. 
Der Generalfeldmarschall schloß sich mir an und reichte gleichzeitig 
sein Abschiedsgesuch ein. Die Gesuche gingen am 12. abends nach 
Berlin, nachdem am Nachmittage eine vorläufige Benachrichtigung an
	        
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