Der Kanzlerwechsel 363.
in dem Sinne besprochen, wie ihn die Marine vertrat, nämlich daß die Über-
führung nur in beschränktem Umfange denkbar sei. Über die Friedens-
resolution äußerten wir uns lediglich zurückhaltend; sie entspräche nicht
unserer Ansicht, weil sie den Geist der Truppen und den Siegeswillen des
Volkes schädlich beeinflussen, von dem Feinde aber als Schwächebekennt-
nis ausgelegt werden würde und daher eine für uns ungünstige Wirkung
ausüben müsse. Auch deuteten wir die etwaigen nachteiligen Folgen auf
Bulgarien an, das weitgehende Friedensforderungen verfolgte.
Ich führte aus: Wir werden siegen, wenn hinter dem Heer das Volk
in geschlossener Einigkeit steht. Dazu muß die Volksvertretung helfen.
Die Begegnung war durchaus zwanglos. Staatsminister Dr. Helffe-
rich bat die Abgeordneten, vorläufig in bezug auf die Friedensresolution
nichts zu veranlassen. Er lud sie für den nächsten und übernächsten Tag
zu sich zu einer Besprechung in das Reichsamt des Innern ein, der neue
Reichskanzler würde zugegen sein — die Herren sagten es zu. Die
Friedensresolution stand indes am nächsten Tage früh bereits im „Vor-
wärts“. Ich hatte das noch auf Anregung des Unterstaatssekretärs Wahn-
schaffe zu verhindern gesucht und den Abgeordneten Südekum gebeten,
seinen Einfluß in diesem Sinne auf den „Vorwärts“ geltend zu machen.
Die Veröffentlichung war jedoch nicht mehr aufzuhalten. Damit hatte sich
die Reichstagsmehrheit festgelegt. Jede weitere Beratung erschien mir
wenig zweckvoll und aussichtsreich.
Reichskanzler wurde Dr. Michaelis. Herr v. Valentini, der Chef des
Zivilkabinetts des Kaisers, hatte dem Generalfeldmarschall einige Herren
genannt, unter denen Seine Majestät auswählen würde. Fürst Bülow,
für den der Generalfeldmarschall dem Kaiser gegenüber gelegentlich ein-
trat, war nicht darunter. Graf Hertling habe abgelehnt und geäußert, er
könne mit der Obersten Heeresleitung nicht zusammenarbeiten. Ich war
darüber nicht weiter erstaunt. Aus einem Schriftwechsel mit ihm durch
den bayerischen Kriegsminister v. Hellingrath hatte ich leider die Über-
zeugung gewinnen müssen, daß er sowie ganz München die Oberste
Heeresleitung mit den Augen der Wilhelmstraße ansah. Später wurde
Graf Hertling Reichskanzler, und bei seinem Abgang äußerte er mir seine
Befriedigung über das gute Zusammenarbeiten mit der Obersten Heeres-
leitung. Der Generalfeldmarschall sprach sich Herrn v. Valentini gegenüber
dahin aus, er würde den Herrn begrüßen, den Seine Majestät ernennen
würde. Ich war überrascht, daß nicht jederzeit ein Nachfolger für den
Reichskanzler seitens der entscheidenden Instanzen bereitgehalten wurde,
und daß Deutschland in dieser für sein Geschick so bedeutungsvollen Frage
von der Hand in den Mund leben mußte. Der Weg, den unsere innere
Entwicklung gegangen war, hatte nicht Raum zur Entfaltung von Per-
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