Die litauische und die großpolnische Bewegung 375
ruthenen stützen. Gleichzeitig schlugen wir eine Besprechung dieser
Fragen vor, deren schnelle Lösung mir sehr am Herzen lag. Hier wie
überall vertrat ich den Standpunkt, daß der Reichskanzler die politischen
Richtlinien festzusetzen habe, sie mußten nur mit der militärischen Sicher—
heit zu vereinigen sein. Die politischen Weisungen durchzuführen war in
diesem Fall die Aufgabe der Obersten Heeresleitung und des Oberbefehls-
habers Ost. 1
Am 5. April fand die erste Besprechung mit Vertretern des Reichs-
kanzlers unter Vorsitz des Generalquartiermeisters, General Hahndorff, in
Bingen statt.
Des Generalfeldmarschalls und mein Endziel für die zukünftige Ge-
staltung des in der Verwaltung des Oberbefehlshabers Ost stehenden
Landes war ein Herzogtum Kurland und ein Großfürstentum Litauen,
beide, zugleich zum gegenseitigen Interessenausgleich, im engsten Anschluß
an Deutschland und in Personalunion mit Seiner Majestät, sei es als
König von Preußen oder als Kaiser von Deutschland. Deutschland-Preußen
erhielt dadurch eine militärische Sicherung vor neuen Überfällen Rußlands
und zugleich Land für die Versorgung unserer Soldaten nach dem Kriege.
Die Grenzen Kurlands waren gegeben.
Die Feststellung des Begriffs Litauen war schwer. Die litauische Be-
völkerung in ihrer Masse, aber durchsetzt von polnischen Großgrund-
besitzern, wohnt im allgemeinen nördlich der Linie Dünaburg—Wilna—
Olita—Suwalki. Südlich davon strahlen die Litauer in das von Polen
durchdrungene und stark polonisierte Weißruthenen-Gebiet hinein. Wilna,
Grodno und andere Städte waren polnisch. Erst bei Bjalystok fing das
geschlossene Polentum an. Juden lagerten sich über ganz Litauen. Deutsche
wohnten hauptsächlich an der ostpreußischen Grenze. Die Litauer waren
in dem Verwaltungsgebiet des Oberbefehlshabers Ost, südlich Kurland, in
geringer Überzahl und bildeten somit ein Gegengewicht gegen die Polen.
Sie waren von diesen genau so bedroht wie unsere östlichen Grenzgebiete
und daher unsere natürlichen Bundesgenossen, die zu stärken und an uns
heranzuziehen wir unbedingt erstreben mußten. So weit gingen meine
Ausführungen am 5. April noch nicht. Mir lag zunächst daran, vom Reichs-
kanzler die Zustimmung zu einer ausgesprochen litauischen Politik zu er-
halten. Die Besprechung zeitigte noch kein Ergebnis.
Bereits am 23. desselben Monats fand in Kreuznach eine zweite
Beratung statt. Rußland hatte nach Ausbruch der Revolution
den Litauern weitgehende Versprechungen gemacht. Jetzt erkannte
auch der Reichskanzler die Notwendigkeit an, ihnen gegenüber klare
Politik zu treiben. Am 30. April wurde eine allgemeine Einigung dahin
erzielt, daß im ganzen Gebiet des Oberbefehlshabers Ost nach fol-