376 Der Entente-Angriff im ersten Halbjahr 1917
genden Leitsätzen zu handeln wäre: Das Deutschtum sei zu bevorzugen,
aber auch nur jeder Schein zwangsweiser Germanisierung, von der ich nie
ein Freund war, allen Nationalitäten gegenüber zu vermeiden. Das Wort
„eindeutschen“ ist mir immer unangenehm gewesen. Die Litauer wären
mit allen Mitteln zu gewinnen und die Weißruthenen der nördlichen Ge-
biete den Litauern näherzubringen. In den südlich gelegenen Teilen
wurde hierauf in Rücksicht auf die Polen verzichtet.
Eine polnische Propaganda wäre zu verhindern, aber ohne dabei
durch eine öffentliche Stellungnahme in Widerspruch mit der Politik des
Generalgouverneurs in Warschau zu kommen.
Diese Sätze legten die Reichsregierung noch nicht endgültig fest, gaben
aber den Weg für eine klare Politik gegenüber den Litauern frei. In
Übereinstimmung mit der Regierung veröffentlichte der Oberbefehlshaber
Ost am 30. Mai die Genehmigung zur Bildung eines litauischen Ver-
trauensrates, in dem die Litauer die Mehrheit bilden, die anderen Natio-
nalitäten durch einzelne Mitglieder vertreten sein sollten. Der Vertrauens-
rat war als ein Landesorgan gedacht, das die Wünsche der Litauer der
Verwaltung zu übermitteln hatte.
Die allgemeinen Verhältnisse drängten immer mehr dazu, endgültige
Klarheit über unsere Ziele im besetzten Ost-Gebiet zu gewinnen. Die
unter der feindlichen Propaganda ins Leben getretenen Schlagworte
vom annexionslosen Frieden und von dem Selbstbestimmungs-
recht der kleinen Nationen waren geeignet, die litauische Frage einer
Lösung entgegenzuführen, die den deutschen Interessen widersprach. Sie
ließ den Polen die Möglichkeit offen, auch in jenen Gebieten die Oberhand
zu erhalten, in denen sie sie bisher noch nicht hatten.
Die Oberste Heeresleitung trat am 21. Juli an das Auswärtige
Amt — der Reichskanzler Dr. Michaelis war eben in seine hohe Stelle
gekommen — mit dem Vorschlage heran, in Kurland und Litauen eine
völkische, und zwar in Litauen eine ausgesprochen litauische Politik zu
treiben. Wir strebten endgültig die Verwirklichung unserer Gedanken über
Kurland und Litauen an. In beiden Gebieten sollten „Landesräte“ ins
Leben gerufen werden.
Am 25. Juli erklärte sich Staatssekretär Zimmermann mit dem Zeit-
punkt und der Art des beabsichtigten Vorgehens einverstanden. Unser in-
zwischen in Ostgalizien eingetretener Erfolg hatte die Lage weiter geklärt.
Der Staatssekretär riet nur „im Hinblick auf die nicht zu übersehenden Zu-
kunftsmöglichkeiten“ ab, „uns äußerlich erkennbar oder auch nur innerlich
auf das bestimmte Ziel einer Personalunion festzulegen". Er betonte aber
später, „er wolle damit die Gestaltung keineswegs von der Hand weisen“.
Wann die Regierung sich vor der Öffentlichkeit zu dieser Politik bekennen