Full text: Ludendorff, meine Kriegserinnerungen 1914-1918

Die Zersetzung des russischen Volkes 407 
  
weniger Männer, die sich auf ihnen ergebene Truppen stützten, deren 
Leidenschaften sie alles nachsahen, auch wenn es chinesische Söldner waren. 
Das von dieser Diktatur beherrschte Land ging zugrunde. Das war für die 
Machthaber bedeutungslos. 
Es war das Seltsame geschehen: Diejenigen, die nicht genug über Ver- 
gewaltigung und gegen den Krieg hatten sprechen können, achteten nicht das 
Recht der Mehrheit, vergewaltigten schärfer, als je eine Regierung es getan, 
riefen zum Kampf auf und führten Krieg, zunächst allerdings nicht gegen 
äußere Feinde, sondern überhaupt gegen alles Bestehende. Kein Wort 
der Versöhnung oder Verständigung klang zu den Andersdenkenden 
hinüber. 
Bald erkannten auch alle, die vorher an der Autorität in Heer und 
Volk nicht genug rütteln konnten, die Gefahr, in die sie sich selbst und ihr 
ganzes Land gestürzt hatten. Zu einer Bewaffnung aller antibolschewistisch 
gesinnten Parteien und zu ihrem so dringend nötigen Zusammenschluß 
unter Zurückstellung einzelner Sonderbestrebungen zur Wiedergeburt des 
Landes kam es in Rußland aber nicht. 
Bauern= und Bürgertum sahen sich waffenlos ihren Vergewaltigern 
gegenüber und verfielen dem anarchischen Zersetzungsprozeß. Wann sie je 
wieder Lebenskraft erhalten werden: wer weiß es? Nirgends sieht das Auge 
eine Möglichkeit hierzu, und ein Hoffen allein wäre eine nur zu gefährliche 
Selbsttäuschung. Vielleicht sahen Bauern und Bürger in Rußland, ähnlich 
wie viele Kreise bei uns in Deutschland im Frühjahr 1919, den Bolschewis- 
mus mit fatalistischem Gleichmut als ein unabweisbares Verhängnis an, 
aus dem die Rettung von selbst kommen müsse. Das ist ein unmännliches 
Denken. Es hat sich in Rußland schwer gerächt. Nicht tatenloses Zusehen, 
sondern starkes und kluges Handeln, ein richtiges Einschätzen des Feindes, 
seiner Stärken und Schwächen, aber auch weitsichtige Reformen des Wirt- 
schaftslebens, die nach dem Kriege unter allen Umständen hätten kommen 
müssen, helfen aus der bolschewistischen Not. 
In Rußland ergriff vom Oktober 1917 an der Bolschewismus fest 
und immer fester die Gewalt. 
Daß die Zersetzung der russischen Armee und des russischen Volkes für 
Deutschland und Österreich-Ungarn eine außerordentliche Gefahr war, 
daran konnte für mich kein Zweifel sein. Um so größer war daher meine 
Sorge, mit der ich an die Schwäche unserer und der k. u. k. Regierung 
dachte. Durch die Entsendung Lenins nach Rußland hatte unsere Regie- 
rung auch eine besondere Verantwortung auf sich genommen. Militärisch 
war die Reise gerechtfertigt, Rußland mußte fallen. Unsere Regierung 
aber hatte darauf zu achten, daß nicht auch wir fielen. 
Die Vorgänge in Rußland ließen kein Gefühl voller Genugtuung
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.