Grenzfragen im Westen 415
nonen hatten eine erheblich gesteigerte Schußweite bekommen, der Wir—
kungsbereich der Flieger war erweitert worden. Auf der anderen Seite
blieb aber ihr Einsatz an Grundbedingungen gebunden. Jeder Schuß
einer langen Kanone legte noch nicht die Betriebe in ihrer Reichweite still.
Das stellten wir auch im Frühjahr 1918 bei Beschießung französischer
Kohlenbergwerke und bei vielen anderen Gelegenheiten fest. Die Flieger
sind von der Witterung abhängig; wir hätten London sonst häufiger ge-
troffen. Mit diesen Einschränkungen mußte ich nun doch die neuen Kriegs-
mittel in ihrer ganzen Bedeutung für jeden kommenden Krieg in Rechnung
stellen. Ich nahm dabei als Grundlage die gleichen Grenzen und die gleiche
politische Lage wie 1914 an.
Es war zu erwarten, daß der Feind spätestens gleich nach Ausspruch
der Mobilmachung mit einem starken Aufgebot von Munition und
Fliegern gegen unsere kriegswirtschaftlichen Kraftquellen vorgehen würde.
Die Zusammenstellung starker Fliegerverbände an der Grenze und ein
guter Fliegerschutz konnten gegen den feindlichen Angriff aus der Luft eine
gewisse Abwehr schaffen; den Angriff aber zu verhindern und die Bomben=
wirkung auszuschließen, vermochten sie nicht. Ebensowenig gab es ein
Mittel gegen die Wirkung fernstehender feindlicher Geschütze. Einem solchen
Überfall würden die feindlichen Heeresmassen folgen. Wie im einzelnen
die Operationen verliefen, war nicht zu übersehen. Als feststehende Ein-
wirkung auf unsere Kriegsindustrie konnte angenommen werden, daß über-
all zum mindesten eine starke und im ganzen Zusammenhang entscheidende
Produktionsminderung eintreten und ein starker Bruchteil unserer deutschen
Arbeiterschaft auf das schwerste betroffen sein würde. Die Lage hätte sich
— das konnte ich ohne Schwarzseherei sagen — dahin entwickeln können,
daß wir den Krieg gleich in den ersten Tagen verloren. Wir wären er-
schlagen worden wie der Hase im Bett.
Alle militärischen Folgerungen hieraus zu ziehen, z. B. im Westen
eine weite Grenzverlegung nach Frankreich hinein anzustreben, war aus-
geschlossen. Es galt, sich mit dem Notwendigsten zu bescheiden. Bei dem
oberschlesischen Kohlenrevier und dem Erzbecken Lothringens mußte ein
wenige Kilometer breiter Schutzstreifen genügen, um unseren bisherigen
Besitz dem unmittelbaren Einfluß des Kampfes zu entziehen. Das Vor-
handensein von Kohle und Erzen in diesem Schutzstreifen sowohl auf pol-
nischem Gebiet wie bei Briey war für meine Münsche nicht entscheidend.
Daß diese Maßnahmen nicht genügten und durch umfassenden militärischen
Schutz im Frieden zu ergänzen waren, stand fest. Die Sicherung beider
Kraftquellen blieb immer unzureichend, und daraus ergab sich die Not-
wendigkeit des zuverlässigen Schutzes unseres niederrheinisch-westfälischen
Industriegebietes. Seine ganze Bedeutung für die Friedens= und Kriegs-