416 Die Schlacht in Flandern und der Zusammenbruch Rußlanbs
wirtschaft hatte ich als Regimentskommandeur in Düsseldorf und jetzt als
Erster Generalquartiermeister kennen gelernt. Die Schlußfolgerung konnte
nur sein: Belgien darf nicht feindliches Aufmarschgebiet werden. Die
Neutralität dieses Landes hielt ich für ein Phantom, mit dem nicht prak-
tisch zu rechnen sei. Es mußte in wirtschaftliche Interessengemeinschaft
mit Deutschland kommen, mit dem es so starke handelspolitische Be-
ziehungen verbanden. Es sollte ein eigener, selbständiger Staat bleiben, in
dem auch die Vlamen zu ihrem Rechte kamen. Die Vergewaltigung dieses
alten germanischen Stammes ist auch eine der Ungeheuerlichkeiten der
Menschheitsgeschichte. Für die ersten Jahre hielt ich in Belgien ein gewisses
deutsches Okkupationsrecht für nötig. Die Maas bei Lüttich durfte, wenn
überhaupt, erst dann aufgegeben werden, wenn Belgien seinen wirtschaft-
lichen Anschluß an Deutschland vollzogen hatte und, seinen eigenen Inter-
essen folgend, auf seiten Deutschlands stand.
Von dem Gedanken der deutschen Marinestützpunkte an der
flandrischen Küste war ich kein Freund. Er war nicht durchdacht
und militärisch unklar. Ich schrieb darüber: „Ganz sicher, d. h. in
bezug auf den Schutz des niederrheinisch-westfälischen Industriegebiets,
wären wir erst, namentlich wenn der Tunnelbau Dover—Calais Wirk-
lichkeit wird, wenn wir ganz Belgien militärisch besetzten und an der
flandrischen Küste ständen. Dies können wir zur Zeit nicht erreichen. Es
fragt sich, ob wir um dieses Ziel den Krieg fortsetzen müssen. Das ist
meines Erachtens der Fall, wenn die Engländer einen Gebietsstreifen in
Frankreich (Calais) behalten. Tun sie das nicht, so wäre der Besitz der
flandrischen Küste für uns kein Grund zur Fortsetzung des Krieges über
den Winter hinaus."
Das Verbleiben Englands in Calais wurde damals mir gegenüber
mehrfach erörtert. Ich erwähnte es deshalb in meiner Denkschrift.
Eine Vertiefung der Beziehungen Luxemburgs zum Reich erschien
mir wichtig.
Waren die Verhältnisse etwa derart an der Westgrenze geordnet, so
hatten wir dort für die militärische und wirtschaftliche Stellung Deutschlands
das erreicht, was seine Zukunft forderte.
Im Osten waren die Grenzen Deutschlands in ihrer ganzen Ausdeh-
nung, nicht nur wegen der Lage des oberschlesischen Kohlenbeckens, denkbar
ungünstig. Wie schwer die östlich der Weichsel liegenden Landesteile gehalten
werden konnten, hatte der Feldzug 1914 zur Genüge gezeigt. Eine größere
Sicherung durch einen Schutzstreifen hatte die Provinz OÖstpreußen ver-
dient, die durch den Krieg ungemein hart mitgenommen war.
Der weit gegen Westen nach Preußen hineinspringende Bogen Polens
hatte sehr erhebliche militärische Nachteile für die Verteidigung des Vater-