Full text: Ludendorff, meine Kriegserinnerungen 1914-1918

Grenzfragen im Osten 417 
  
landes im Gefolge. Ihre ganze Schärfe war gleichfalls im Herbst 1914 in 
Erscheinung getreten, als der Großfürst Nikolai Nikolajewitsch daselbst seinen 
großen Stoß gegen die preußische Grenze führte. Diese Nachteile durch 
territorialen Gewinn in vollem Umfange auszugleichen, erschien unmöglich. 
Dagegen waren eine Verbreiterung der schmalen Einschnürung zwischen 
Danzig und Thorn nach Süden zu und der Schutzstreifen des oberschlesischen 
Kohlenreviers strategisch notwendig. 
Die Grenzverhältnisse wurden durch den erstrebten Anschluß Kurlands 
und Litauens nicht günstiger. Waren indessen der Schutzstreifen an der Süd- 
grenze des Landes östlich der Weichsel und die Verbreiterung südlich Thorn 
erreicht, dann konnte durch Vervollständigung des Eisenbahnnetzes vieles 
ausgeglichen werden. Kurland und Litauen sollten unsere Verpflegungs- 
möglichkeiten gesunder machen, wenn wir in einem späteren Kriege noch 
einmal auf eigene Kraft angewiesen wären. 
Bei dieser Neuordnung der Ostgrenze war auch hier das erreicht, was 
für die militärische und wirtschaftliche Sicherung Deutschlands nötig schien. 
Voraussetzung blieb aber, daß die sogenannte austro-polnische Lösung nicht 
eintrat, Polen seinen wirtschaftlichen Anschluß an Deutschland, vielleicht 
auch wieder an Rußland suchte. 
Meine Hoffnungen gingen noch einen Schritt weiter. Die Be- 
wohner Kurlands und Litauens sollten Deutschland neue Menschenkräfte 
zuführen. Daß Menschen Macht bedeuten, das empfand ich jeden Tag im 
Kriege. In den Menschenmassen lag eine große Überlegenheit der En- 
tente. Die Bevölkerung jener Gebiete konnte unter dem Schutze des 
Deutschen Reiches ihre Nationalität behalten. Ein Zuwachs an polnischer 
Bevölkerung in dem Schutzstreifen war unerwünscht, vor der militärischen 
Notwendigkeit mußte dieses schwere Bedenken zurücktreten. Die erhoffte 
großzügige deutsche Siedlungstätigkeit und die Sammlung der Auslands- 
deutschen injenen weiten Östgebieten, wie sie schon im Jahre 1915 der Reichs- 
kanzler für gewisse Grenzstreifen erstrebte, konnte uns in der Zukunft einen 
weiteren Menschen zuwachs bringen. 
Für Deutschlands weltwirtschaftliche Stellung dachte ich für den 
Frieden an handelspolitische Vorteile in Rumänien und der Balkanhalb- 
insel und vor allem an die Rückgabe unserer Kolonien oder ihr Zusammen- 
legen zu einem geschlossenen Kolonialbesitz. 
Den mitteleuropäischen Wirtschaftsbund lehnte ich ab. Er schien mir 
nicht durchführbar, da er eine zu starke Vormachtstellung Deutschlands in 
sich schloß. 
Auf Kriegskontributionen habe ich nie ernstlich gehofft. 
Dieses militärisch Notwendige erstrebte ich mit dem Gedanken, es 
sei nicht sicher, ob wir es durchzusetzen vermöchten. Sei es aber nicht der 
Kriegserinnerungen 1914—18. 27
	        
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