Full text: Ludendorff, meine Kriegserinnerungen 1914-1918

418 Die Schlacht in Flandern und der Zusammenbruch Rußlands 
  
Fall, so wären jene Forderungen nicht unnötig, sondern ihre Nichtverwirk- 
lichung ein Nachteil, der dann als solcher mit in den Kauf genommen und 
durch erhöhte Schutzmaßnahmen im Frieden ausgeglichen werden müßte. 
Ich bin mit diesen Gedanken nie selbsttätig in die ffentlichkeit getreten 
und habe mich ihr gegenüber auch nicht über Friedensbedingungen ge— 
äußert. Auf Veranlassung des Reichskanzlers Dr. Michagelis besprach ich 
sie indes mit mehreren Abgeordneten der verschiedensten Fraktionen. 
Meine Anschauungen über den Frieden haben nie als Grundlage für 
irgendwelche Gespräche mit dem Feinde gedient, da die Regierung nie so 
weit gelangte. In den ersten Brester Verhandlungen und in Bukarest ging 
später die Regierung ihre eigenen, von den meinen abweichenden Wege. 
Alles, was die Oberste Heeresleitung in bezug auf Kriegsziele mit dem 
Reichskanzler besprach, waren theoretische Erörterungen. Jeder wußte, daß 
allein das Kriegsende auf den Frieden bestimmend einwirken würde und 
daß von Fall zu Fall zu entscheiden sei. 
Wo praktische Arbeit zu leisten war, wie bei der Antwort an Wilson 
am 29. Januar 1917, dem Verhalten Rußlands gegenüber im Frühsommer 
oder gegen England im August/ September desselben Jahres, endlich beim 
Waffenstillstand im Osten, wurde den Verhältnissen entsprechend gehandelt. 
Die Einnahme jedes theoretischen Standpunktes lag mir fern. 
Solange der Vernichtungswille unserer Feinde anhielt, konnte dieser 
Krieg allein durch Sieg oder Niederlage entschieden werden. Die Regie- 
rung zeigte uns jedenfalls keinen anderen Weg, den Krieg zu beenden und 
zum Frieden zu gelangen. 
Behauptungen, wir hätten unter diesen oder jenen Bedingungen früher 
Frieden haben können, sind eine ungeheuerliche Leichtfertigkeit und eine 
bewußte neue Irreführung des deutschen Volks. Die Entente hat nie ein 
Angebot gemacht, sie dachte nicht daran, uns etwas zu geben; sie war auch 
mit dem status qduo ante nicht zufriedengestellt, sie wollte nur nehmen. 
Ist nun irgendein deutscher Mann mit der Ansicht hervorgetreten, wir 
sollten Elsaß-Lothringen, die Provinz Posen oder unsere Kolonien opfern? 
Reichskanzler v. Bethmann sprach im Herbst 1916 vorübergehend von der 
Abtretung oder dem Austausch einiger Orte in Lothringen und im Sundgau. 
Sollten wir eine Abstimmung in unseren eigenen Grenzgebieten als 
Friedensgabe anbieten? Diese Ansichten sind sicher nicht in einem deutsch 
denkenden Gehirn geboren worden. Wollten wir unsere Verteidigungs- 
möglichkeit noch ungünstiger machen, unsere politische und wirtschaftliche 
Kraft schwächen, so hätten wir darauf eingehen sollen. Wir erleben ähn- 
liches heute. 
Der Krieg war begonnen; wir mußten eine günstige Waffenent- 
scheidung erstreben oder eine Niederlage auf uns nehmen, die zu ver-
	        
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