Die inneren Verhältnisse Deutschlands 419
hindern wir die Kraft hatten. Wenn Deutschland dies jetzt wenigstens ein-
sähe, jetzt, nachdem sich klar erwiesen hat, daß alle Schlagworte der En-
tente von dem Selbstbestimmungsrecht der Nationen, von einem Verzicht
auf Annexionen und Kontributionen, Abrüstungen, Freiheit der Meere
eitel Wahngebilde sind und es bleiben werden.
Jedes Menschenleben ist ein Kampf im kleinen; im Innern der
Staaten ringen die Parteien gegeneinander um die Macht, ebenso in der
Welt die Völker — so wird es ewig sein und bleiben. Das ist ein Natur-
gesetz. Aufklärung und höhere Gesittung der Menschheit können den
Kampf um die Macht und die Gewaltmittel mildern, aber nie ausschließen,
denn es streitet wider die Natur des Menschen und endlich wider die Natur
selbst. Natur ist Kampf! Siegen das Starke und Gute nicht, dann drängt
sich das Unedle machtvoll hervor und zwingt zur Abwehr durch Kampf
und Gewalt, wenn nicht das Edle unterliegen soll. Aber auch dieses bleibt
nur leben, wenn es stark ist.
VII.
Die inneren Verhältnisse Deutschlands entwickelten sich auch weiterhin
nicht glücklich. Im Reichstage nahm der Kampf der Parteien gegen die Re-
gierung um die Macht immer schärfere Formen an. Immer nackter und un-
verschleierter trat dies Wesen des Parlamentarismus, vertreten durch Berufs-
politiker, verkleidet durch Schlagworte aller Art, in die Erscheinung. Reichs-
kanzler Dr. Michaelis widersetzte sich dem nach wie vor und wurde
dadurch sehr bald ein Opfer seines Handelns. Er verbrauchte seine Kraft
in diesem Kampf und fand keine Zeit, für den Krieg zu arbeiten.
In der Antwort der Vereinigten Staaten auf die Papstnote hatte
Wilson wiederum den Versuch gemacht, sich in die inneren Angelegenheiten
Deutschlands einzumischen und Volk und Regierung zu trennen; dies er-
regte im Reichstag Widerspruch. Aber wir fanden auch da nicht die Kraft,
solches Handeln mit heiliger Entrüstung zurückzuweisen.
Die Vorgänge in der Marine im Sommer 1917 ließen klar erkennen,
wie weit der revolutionäre Geist schon um sich gegriffen hatte. Es handelte
sich darum, durch einen Flottenstreik den Frieden zu erzwingen. Diese
Zustände fanden nicht die Würdigung, die sie so dringend verdienten; die
ernste Mahnung blieb wirkungslos.
Das Auftreten der Regierung war nicht kraftvoll. Aus ihm sprach die
ganze Unsicherheit einer sich schwach fühlenden Regierungsgewalt. Reichs-
kanzler Dr. Michaelis erkannte zwar klar die Gefahr, die von der Unab-
hängigen Sozialdemokratie her der Kriegführung drohte. Er verhinderte
aber nicht das revolutionäre Wirken dieser Partei. Ihre Presse, deren
unheilvoller Einfluß nachgewiesen war, durfte weiter zersetzend schreiben.
27*