Full text: Ludendorff, meine Kriegserinnerungen 1914-1918

Die Verhältnisse in Deutschland 423 
  
des gesamten Volkes in Waffen und nicht nur eines Teiles unseres damals 
noch wehrhaften Volkes. Auch hierin standen wir in einem, wenn auch nicht 
ausgesprochenen Gegensatz zur Regierung, die sich bewußt und ausdrücklich 
nur auf den von der Linksmehrheit des Reichstages mehr oder weniger 
demokratisch und radikal vertretenen Volksteil stützte, während der andere 
vollständig ausgeschaltet blieb. Der Gesetzesabbau nach links, der den Streik 
erleichterte und die Arbeitswilligen schutzlos machte, der das Koalitionsrecht 
und die Vereinsfreiheit der Jugend gab und sie verrohen ließ, statt sie zu 
erziehen, sowie die gleichzeitigen Strafanordnungen nach rechts zeigen heute 
jedem klar, welchen Weg die Regierung gegangen ist. 
Ich besprach mit dem Kriegsminister die bedauerlichen Erscheinungen 
in der Heimat und wies unter anderem auf die meines Erachtens nicht 
genügende Presseaufsicht hin. Die Zustände bei dem Besatzungsheer wurden 
erörtert. Die Ausbildung und die Mannszucht der Ersatztruppen ließen 
zu wünschen übrig, der militärische Gruß wurde lässig, meistens überhaupt 
nicht ausgeführt. Das Besatzungsheer arbeitete zweifellos mit großen 
Schwierigkeiten. Auch hier fehlte es immer mehr an geeigneten Offizieren. 
Das Frontheer konnte zwar kriegsverwendungsfähige nicht abgeben, indes 
war doch schließlich eine Menge kriegsbeschädigte Offiziere vorhanden, die 
noch ihre alte Willenskraft behalten hatten. Aber auch sie zog es hinaus, 
und die so ungemein schlechten Besoldungsverhältnisse in der Heimat 
zwangen sie häufig dazu. Auch hier hätte nur ein großzügiges Handeln 
Underung schaffen können. Immerhin gaben die Verhältnisse bei den Ersatz- 
truppenteilen dem Kriegsministerium Veranlassung, die Rekrutendepots des 
Feldheeres nach Möglichkeit zu verstärken, um so den Ersatz eher der Heimat 
zu entziehen und ihn in Fühlung mit der Front zu gefestigten Soldaten 
auszubilden. Der Jahrgang 1899 wurde im Winter 1917/18 in die Feld- 
rekrutendepots überführt. 
Über die Sicherstellung des Ersatzes für den Fortgang des Krieges 
hatte ich mir erneut Rechenschaft abgelegt. Ich hielt die Ersatzfrage für so 
bedeutungsvoll, daß endlich auch das Volk an ihr teilnehmen mußte. Nur 
so konnte sie gelöst werden, nur so konnte es klar sehen und über sein eigenes 
Schicksal entscheiden. Unter dem 10. September 1917 hatte die Oberste 
Heeresleitung dem Reichskanzler ernste Darlegungen hierüber gemacht. Der 
Generalfeldmarschall hatte geschrieben: 
„Der Ersatz für das Feldheer ist zur Zeit unzureichend. insbesondere 
fehlt ausgebildeter Ersatz bei allen Waffen in beängstigendem Maße 
Gelingt es nicht, den nötigen Ersatz für das Heer zu schaffen, so ist der 
Ausgang des Krieges in Frage gestellt.“ 
Außer Hebung des Kriegswillens und weiterer Aufklärung hielten wir, 
um Ersatz zu gewinnen, die Verbesserung des Hilfsdienstgesetzes, die Er-
	        
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