424 Die Schlacht in Flandern und der Zusammenbruch Rußlands
höhung der Leistung der Arbeiter, das Herausziehen einer möglichst großen
Zahl kriegsverwendungsfähiger Leute aus der Industrie spätestens im Früh-
jahr 1918, sowie die Verlängerung der Wehrpflicht für nötig. Das
Schreiben schloß:
„Das aber muß ich pflichtmäßig betonen: Die Lage muß sich kritisch
gestalten, wenn wir nicht tatkräftig und sofort handeln. Handeln wir
in diesem Sinne, so wird auch das Heer den Krieg zum guten Ende
führen.
Für alle an den vorstehend behandelten Fragen verantwortlichen
Stellen besteht also eine ungeheure Verantwortung. Insbesondere darf
namentlich dem Reichstage, den Gewerkschaften usw. kein Zweifel darüber
gelassen werden, daß auch sie durch Zaudern oder Ablehnung die schwerste
Schuld auf sich laden.
Daß, nachdem Monate ungenutzt verstrichen, schnelles Handeln geboten
ist, bedarf keines Hinweises.“
Auch dieses Schreiben sollte keinen Erfolg haben. Ob der Reichstag
unterrichtet wurde, ist mir unbekannt geblieben.
Nachdem ich den Reichskanzler Grafen v. Hertling kennen gelernt hatte,
mußte ich mich überzeugen und sehr bald damit rechnen, daß auch dieser
Mann kein Kriegskanzler sei. Graf v. Hertling stand ganz auf dem Boden
der Reichstagsmehrheit, aus der er in gewisser Weise hervorgegangen war,
und des Programms vom Verständigungsfrieden. Er sprach dies klar und
deutlich in seinen ersten großen Reden aus, ohne bei der Entente irgend-
einen Widerhall auszulösen. Er nannte sich „Versöhnungskanzler“. Ich
glaube, die Zeit war noch nicht reif für die Versöhnung. Wir brauchten
einen Kanzler, der ganz den kriegerischen Aufgaben seiner hohen Stellung
lebte, kraftvoll und energisch handelte und das Volk über die Gefahren
aufklärte, die ihm drohten. Das alles aber widersprach der Natur des
Grafen v. Hertling. Er war gewandt in der Behandlung der Reichstags-
parteien, gab ihnen jedoch auch da nach, wo die Kriegführung es
anders verlangte. Ehrlicher Wille hat Graf v. Hertling bewogen, das
Amt anzunehmen: die Zeit erforderte aber eine kraftvolle Persönlichkeit. Die
Arbeitslast war für seine hohen Lebensjahre und seine Gebrechlichkeit zu
groß. Sollte ich das Seiner Majestät wiederum sagen? Wer sollte Kanz-
ler werden, nachdem der Kaiser sich wiederholt gegen den Fürsten v. Bülow
und den Großadmiral v. Tirpitz ausgesprochen hatte? Wer war der Mann,
der sich in die Bresche stellte und mitkämpfte, der durch die zwingende Macht
seiner Ziele das Volk einigte und führte? Viele Menschen waren schon mit
dem Vorschlag meiner Kanzlerschaft an mich herangetreten. Dieser Gedanke
war verfehlt, wenn auch gut gemeint. Die Arbeit, die ich zu bewältigen
hatte, war ungeheuer; um den Weltkrieg zu führen, mußte ich das Kriegs-