Full text: Ludendorff, meine Kriegserinnerungen 1914-1918

Das deutsche Heer 455 
  
wesen. Der Wunsch der Truppe und Führer war mir nur Kennzeichen 
dafür, worin das Heer selbst seine Stärke und Schwäche fühlte. 
Die Lage bei unseren Bundesgenossen und bei uns sowie die Ver- 
hältnisse des Heeres erheischten einen Angriff, der eine baldige Entscheidung 
brachte. Das konnte nur an der Westfront der Fall sein. Alles Vorhergehende 
war allein Mittel zum Zweck gewesen, eine Kriegslage herbeizuführen, die 
ihn ermöglichte. Bisher war dieser Fall nicht eingetreten. Mit sechs bis sieben 
Divisionen hatten wir einen Schlag gegen Italien führen können. Für 
den Westen genügte solcher Kräfteeinsatz nicht. Ich lehnte jetzt alle Ge- 
danken ab, in Italien oder Mazedonien anzugreifen. Es kam einzig und 
allein darauf an, genügend Kräfte für einen Angriff im Westen zusammen- 
zubringen. 
Hierzu gehörten gewaltige Kampfmittel und starke Truppen, deren 
Führer wie sie selbst für den Angriff geschult waren. War dies rechtzeitig 
zu erreichen, dann konnte nicht nur, nein, dann mußte angegriffen werden: 
Der Angriff ist die stärkste Kampfform, nur er bringt eine Entscheidung. 
Das beweist die Kriegsgeschichte auf jedem ihrer Blätter. Er ist das Sinn- 
bild der Üüberlegenheit über den Feind. Ein Abwarten hätte nur ihm Nutzen 
gebracht, da er auf sichere Verstärkungen rechnete. 
Daß der Angriff im Westen eine der schwersten Operationen der 
Weltgeschichte werden mußte, darüber war ich mir vollständig klar. Ich 
machte kein Hehl daraus. Auch das deutsche Volk mußte alles her- 
geben. Je mehr es an Menschen gebrach, desto stärker mußte sein 
Kriegswille, desto kraftvoller die Arbeit der Regierung im Dienste der 
Kriegführung sein. Die Oberste Heeresleitung hatte, ähnlich wie seinerzeit zur 
Schlacht von Tannenberg, alles zur Entscheidung heranzuziehen, was auf den 
verschiedenen Kriegsschauplätzen irgendwie entbehrlich war. Wir konnten 
nicht stark genug sein. Andererseits war zu berücksichtigen, daß die europäi- 
schen Fronten im engsten Zusammenhange zueinander standen. Ein Miß- 
erfolg in Italien, in Mazedonien oder im Osten konnte unsere Operationen 
im Westen hemmen. 
Die Belassung deutscher Truppen an der italienischen Front war un- 
nötig. Ihr Abtransport wurde um die Jahreswende eingeleitet. Wir 
behielten nur kriegswirtschaftliches Interesse am besetzten italienischen Ge- 
biet, das in die Verwaltung der k. u. k. Armee überging. Von der russisch-ru- 
mänischen Front fuhren wir trotz des Widerstrebens Bulgariens bulgarische 
Truppen nach Mazedonien zum Freimachen einiger deutscher Verbände. 
Die großzügige Transportbewegung aus Galizien und der Bukowina 
nach Frankreich und Belgien war eingeleitet, eine endgültige Entscheidung 
über die von der Balkanhalbinsel und der OÖstfront abzufahrenden Truppen 
dringend nötig. Wir hatten vorher aber über die Gestaltung unseres Ver- 
28“
	        
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