Die Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk 437
Bevollmächtigter Deutschlands in Brest-Litowsk war Staatssekretär
v. Kühlmann, ihm unterstand als Sondervertreter der Obersten Heeres—
leitung General Hoffmann. Österreich-Ungarn hatte Graf Czernin entsandt.
Die anderen Vierbundsmächte waren gleichfalls vertreten. Staatssekretär
v. Kühlmann lehnte den Vorsitz ab. Dieser wechselte unter den Vierbunds-
mächten.
Die Bevollmächtigten Rußlands wurden nach jeder Richtung als gleich-
berechtigt angesehen. Sie machten sofort eigene Vorschläge.
Am 25. Dezember erklärte im Namen der vier Verbündeten Graf
Czernin sein Einverständnis zu dem russischen Antrage eines Friedens
ohne gewaltsame Gebietserwerbungen und ohne Kriegsentschädigungen.
Auf dieser Grundlage wurden auch die Ententestaaten zur Teilnahme
an den allgemeinen Friedensverhandlungen mit Frist bis zum 4. Januar
10 Uhr abends aufgefordert.
Der führende Vierbundsdiplomat, Graf Czernin, erklärte hierüber:
Wäre damals die Entente zu einem allgemeinen Frieden bereit gewesen,
so wäre das Prinzip „keine Annexionen“ vollkommen durchgedrungen.
Das Selbstbestimmungsrecht der Völker erhielt eine Nutzanwendung,
die unklar war und deutschen Interessen nicht entsprach.
Statt einfacher bestimmter Forderungen war eine Reihe von Gesichts-
punkten aufgestellt, deren Erörterung sehr lange Zeit beanspruchen mußte.
Auch die Einladung an die Entente konnte nur verzögernd wirken. Sie
hatte keinerlei Aussicht, angenommen zu werden. Nichts deckte sich mit den
unter dem Vorsitz Seiner Majestät am 18. Dezember getroffenen Fest-
setzungen. Unsere Zukunft im Osten wurde in Frage gestellt. Wie die Letten
sich jetzt verhalten würden, war nicht zu übersehen. Die Gefahr der Ausliefe-
rung der Litauer und Weißruthenen an das Polentum wurde unermeßlich
vergrößert. Dieses selbst schnitt den Interessen Österreich-Ungarns ent-
sprechend gut ab. An die notwendigen militärischen Grenzsicherungen war
nicht gedacht. Ich sprach mit General Hoffmann und bedauerte den Gang, den
die Verhandlungen einschlugen. Er sagte mit Recht, er hätte geglaubt, dies
alles wäre so am 18. Dezember in Kreuznach besprochen. Ich klärte ihn dar-
über auf, daß wir in keiner Weise unterrichtet wären, und beauftragte ihn,
nachdem nun einmal die vierzehntägige Frist festgesetzt war, bei dem
Staatssekretär v. Kühlmann wenigstens auf der Sicherstellung unserer
Absichten bezüglich Kurlands und Litauens und der Möglichkeit der Be-
sitzergreifung eines polnischen Schutzstreifens zu bestehen, so wie wir es
bisher auf Grund der Weisungen Seiner Majestät und der Abmachungen
mit dem Reichskanzler als Forderungen des Reiches angesehen hatten. Auf
Antrag des Generals Hoffmann nahm nun der Staatssekretär v. Kühl-
mann in der Kurland= und Litauenfrage einen Standpunkt ein, der sich