Die Verantwortlichkeit des Reichskanzlers und der Obersten Heeresleitung 441
die stillschweigende moralische Mitverantwortlichkeit des Generalfeldmar=
schalls und meiner Person bestanden tatsächlich keine Zweifel. Je schärfer
aber der Reichskanzler die Trennungslinie hierin zog, desto schwerer wurde
die Verantwortung für ihn selbst.
Wir erfuhren jetzt auch, daß Graf Hertling die Weihnachtsrede des
Grafen Czernin in Brest ausdrücklich genehmigt hatte. Er trieb also, wie
es sein Recht war, eine durchaus eigene Politik und hielt sich hierbei auch
nicht an Abmachungen mit uns gebunden. Was Graf Hertling zu dieser
veränderten Stellungnahme veranlaßte, ist mir auch heute noch unver-
ständlich. Wir sahen die Entscheidungen Seiner Majestät vom 18. De-
zember für bindend an und mußten erwarten, daß der Reichskanzler uns
Anderungen mitteilen würde. Andernfalls waren schwerwiegende Miß-
verständnisse und persönliche Reibungen unausbleiblich. Sie waren auch
in diesem Falle eingetreten. Sie wären vermieden worden, wenn wir
unterrichtet gewesen wären. Die sachliche Beurteilung des Generalfeld-
marschalls und die meinige wäre die gleiche geblieben. Wir würden aber
unseren Ansichten anderen Ausdruck gegeben haben.
Die Besprechungen und auch der Bescheid, den Seine Moajestät dem
Generalfeldmarschall erteilte, änderten nichts. Insbesondere erhielten wir
keine Mitteilung darüber, welche militär-politischen Ziele verfolgt würden.
Bisher ging das Ziel des Grafen v. Hertling im Westen dahin, Belgien
dürfe nicht das Aufmarschgebiet unserer Feinde werden. Es deckte sich
das mit der Ansicht, die auch die Oberste Heeresleitung vertrat.
III.
Inzwischen versammelten sich die Friedensabordnungen wieder in
Brest. Die Entente war natürlich nicht gekommen. Viele warteten mit
einer gewissen Spannung, ob die Russen zurückkehren würden. Sie kamen
unter Trotzkis Führung. Ihr Kommen war Zwang für sie. Die Auflösung
ihrer Armee machte schnell immer weitere Fortschritte. Sie befand sich in
einem Zustand völliger Desorganisation und wollte Frieden. Unsere mili-
tärische Lage war also denkbar günstig, wir brauchten nicht einmal so zu
handeln, wie die Entente gegenüber Bulgarien, Österreich-Ungarn und
Deutschland aufgetreten ist, sondern nur klar und bestimmt unsere einfachen
Forderungen durchzusetzen. «
In der Frage der Ausübung des Selbstbestimmungsrechts kamen wir
weitgehend entgegen. Wir ließen unseren Standpunkt, daß die Bevölke-
rung der besetzten Gebiete Kurlands und Litauens von dem ihr ein-
geräumten Selbstbestimmungsrecht bereits Gebrauch gemacht hätte, fallen
und gestanden eine neue Befragung der Bevölkerung zu. Wir forderten