Full text: Ludendorff, meine Kriegserinnerungen 1914-1918

Besprechungen in Homburg 449 
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Der Reichskanzler und der Vizekanzler waren zunächst für die Kündi- 
gung des Waffenstillstandes nicht zu gewinnen. Ihre ablehnende Haltung 
begründeten sie allein mit innerpolitischen Bedenken und den Verhältnissen 
Österreich-Ungarns. Diese Sachlage war auch für Staatssekretär v. Kühl- 
mann maßgebend. Irgendwelche Gründe außenpolitischer Natur spielten 
keine Rolle. Allmählich ließen sich die beiden erstgenannten Herren doch 
überzeugen und stimmten der Kündigung des Waffenstillstandes, nament- 
lich in Rücksicht auf die Verpflegungslage, zu. Staatssekretär v. Kühlmann 
blieb dagegen. Er erklärte aber, er wäre nicht der verantwortliche Staats- 
mann, sondern der Reichskanzler, und da dieser sich entschlossen hätte, 
den Waffenstillstand zu kündigen, so würde er seine weitere Mitarbeit 
nicht versagen. Ich konnte nur annehmen, daß dem Staatssekretär 
v. Kühlmann seine Gegengründe selbst nicht stichhaltig erschienen, sonst 
hätte er trotz aller staatsrechtlichen Erklärungen für seine Person die 
nötigen Folgerungen ziehen müssen. Das Amt des Staatssekretärs des 
Auswärtigen Amts war doch ein derart hohes, daß der Inhaber sich zu einer 
so wichtigen Entscheidung, wie es die vorliegende war, nicht zwingen lassen 
durfte. Sein Verhalten konnte in mir nicht das Vertrauen erwecken, das 
ich dem Leiter des Auswärtigen Amtes so gern entgegengebracht hätte. 
Leider sollte hierdurch auch mein Verkehr mit anderen Herren des 
Amtes leiden, das namentlich unter den nicht zünftigen Diplomaten her- 
vorragende Kräfte besaß. Ich habe diese Schwierigkeiten um so mehr be- 
dauert, da mir die Personen gleichgültig waren und ich nur die Sache sah. 
Die Reformbedürftigkeit dieses Amtes stand bei mir ebenso fest wie bei 
der überwiegenden Mehrzahl des deutschen Volkes. 
Auf Vortrag des Reichskanzlers genehmigte Seine Majestät der Kaiser 
die Kündigung des Waffenstillstandes oder, wie es staatsrechtlich als rich- 
tiger angesehen wurde, die Feststellung, daß das Nichtunterschreiben des 
Friedensvertrages durch Trotzki automatisch das Aufhören des Waffen- 
stillstandes mit sich brächte. Welcher Weg gewählt wurde, war mir natür- 
lich gleich. 
V. 
Am 18. Februar nachmittags und am 19. früh begannen somit auf der 
gesamten großrussischen Front die Feindseligkeiten von neuem. Unmittelbar 
darauf erklärte sich die bolschewistische Regierung funkentelegraphisch zum 
Friedensschluß bereit. Wir zogen aus dem in Brest Erlebten die Folge und 
gaben dem Frieden nunmehr eine ganz andere Gestalt. Die Regierung for- 
derte im Einverständnis mit den Verbündeten und in Übereinstimmung mit 
den Ansichten der Obersten Heeresleitung zu unserer militärischen Sicher- 
heit, aber auch im Namen des Selbstbestimmungsrechts der Völker die An- 
Kriegserinnerungen 1914—19. 29
	        
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