Eduard VII.
sagt ab
332 EIN VERTRAULICHER BRIEF
müßten. Selbst Fürst Bismarck hat, trotz seinem Genie und trotz manchen
Bemühungen, in einer für uns brauchbaren Form ein Bündnis mit England
nicht erlangen können.
Seit dem Sommer 1901 wurde der Gang der Bündnisverhandlungen
immer schleppender, bis im Dezember 1901, dank der rücksichtslosen
Energie von Lord Roberts und Lord Kitchener, durch die Bildung
der grausamen Konzentrationslager und die Erschießung zahlreicher
Kap-Rebellen der Widerstand der Buren endgültig gebrochen erschien
und König Eduard VII. an den englischen Botschafter in Berlin
Sir Frank Lascelles in einem von letzterem uns vertraulich mitgeteilten
Briefe schrieb: Er wünsche nach wie vor, daß Deutschland und England in
allen Punkten zusammengingen. Dieses Zusammengehen aber in einem
förmlichen Abkommen zu stipulieren, sei schwierig, da ein solcher Vertrag
im englischen Unterhaus zweifellos auf große Bedenken und Weitläufig-
keiten stoßen würde. Der König würde aber nicht nachlassen, in Gemein-
schaft mit dem Deutschen Kaiser für die Wohlfahrt der Welt zu wirken.
Ich glaube noch heute, daß Eduard VII. zwar lebhaft wünschte, unseren
wirtschaftlichen Aufschwung wie unsere politische Machtentfaltung nach
Möglichkeit zu hemmen, daß es ihm vor allem am Herzen lag, zwischen uns
und Rußland Mißtrauen zu säen und uns mit Rußland zu veruneinigen,
daß er gern jede Gelegenheit ergriff, seinen Neffen persönlich zu ärgern.
Ich bin aber ebenso fest davon überzeugt, daß er einen Krieg mit uns nicht
wollte. Auch ohne Bündnis mit England ist der Friede zwischen uns und
Großbritannien bis zu dem am 6. Mai 1910 erfolgten Tode des Königs
Eduard VII. nicht gestört worden, mit dessen Nachfolger friedliche Be-
zichungen noch viel leichter aufrechtzuerhalten waren als vorher. Sie
waren auch ruhig und friedlich geworden, als im Hochsommer 1914 durch
allseitige ungeschickte Behandlung eines Zwischenfalls auf der Balkan-
halbinsel der Weltkrieg zum Ausbruch kam.
Jedermann kennt die Anekdote von dem englischen Reisenden, der,
nach kurzer Mecresfahrt in Calais eingetroffen, dort bei seinem Frühstück
von einem rothaarigen und nicht besonders höflichen französischen Kellner
bedient wird. Er schreibt in sein Tagebuch: „Alle Franzosen haben rote
Haare und ein unfreundliches Wesen.“ Wenn ich nach wiederholtem, aber
immer nur kurzem Aufenthalt in England mir ein Gesamturteil bilden darf,
das vielleicht nur den Vorzug hat, ohne jede vorgefaßte Meinung, lediglich
auf Grund direkter Eindrücke abgegeben zu werden, so würde ich sagen,
daß mir als die Signatur englischer Verhältnisse und englischen Wesens
die physische, intellektuelle und moralische Gesundheit aller Klassen ent-
gegentrat. England erschien mir als ein durch und durch gesundes Land
und Volk. Von der englischen Säuglingspflege, die unvergleichlich, und von