Object: Die Reichsverfassungsurkunde vom 16. April 1871.

Eduard VII. 
sagt ab 
332 EIN VERTRAULICHER BRIEF 
müßten. Selbst Fürst Bismarck hat, trotz seinem Genie und trotz manchen 
Bemühungen, in einer für uns brauchbaren Form ein Bündnis mit England 
nicht erlangen können. 
Seit dem Sommer 1901 wurde der Gang der Bündnisverhandlungen 
immer schleppender, bis im Dezember 1901, dank der rücksichtslosen 
Energie von Lord Roberts und Lord Kitchener, durch die Bildung 
der grausamen Konzentrationslager und die Erschießung zahlreicher 
Kap-Rebellen der Widerstand der Buren endgültig gebrochen erschien 
und König Eduard VII. an den englischen Botschafter in Berlin 
Sir Frank Lascelles in einem von letzterem uns vertraulich mitgeteilten 
Briefe schrieb: Er wünsche nach wie vor, daß Deutschland und England in 
allen Punkten zusammengingen. Dieses Zusammengehen aber in einem 
förmlichen Abkommen zu stipulieren, sei schwierig, da ein solcher Vertrag 
im englischen Unterhaus zweifellos auf große Bedenken und Weitläufig- 
keiten stoßen würde. Der König würde aber nicht nachlassen, in Gemein- 
schaft mit dem Deutschen Kaiser für die Wohlfahrt der Welt zu wirken. 
Ich glaube noch heute, daß Eduard VII. zwar lebhaft wünschte, unseren 
wirtschaftlichen Aufschwung wie unsere politische Machtentfaltung nach 
Möglichkeit zu hemmen, daß es ihm vor allem am Herzen lag, zwischen uns 
und Rußland Mißtrauen zu säen und uns mit Rußland zu veruneinigen, 
daß er gern jede Gelegenheit ergriff, seinen Neffen persönlich zu ärgern. 
Ich bin aber ebenso fest davon überzeugt, daß er einen Krieg mit uns nicht 
wollte. Auch ohne Bündnis mit England ist der Friede zwischen uns und 
Großbritannien bis zu dem am 6. Mai 1910 erfolgten Tode des Königs 
Eduard VII. nicht gestört worden, mit dessen Nachfolger friedliche Be- 
zichungen noch viel leichter aufrechtzuerhalten waren als vorher. Sie 
waren auch ruhig und friedlich geworden, als im Hochsommer 1914 durch 
allseitige ungeschickte Behandlung eines Zwischenfalls auf der Balkan- 
halbinsel der Weltkrieg zum Ausbruch kam. 
Jedermann kennt die Anekdote von dem englischen Reisenden, der, 
nach kurzer Mecresfahrt in Calais eingetroffen, dort bei seinem Frühstück 
von einem rothaarigen und nicht besonders höflichen französischen Kellner 
bedient wird. Er schreibt in sein Tagebuch: „Alle Franzosen haben rote 
Haare und ein unfreundliches Wesen.“ Wenn ich nach wiederholtem, aber 
immer nur kurzem Aufenthalt in England mir ein Gesamturteil bilden darf, 
das vielleicht nur den Vorzug hat, ohne jede vorgefaßte Meinung, lediglich 
auf Grund direkter Eindrücke abgegeben zu werden, so würde ich sagen, 
daß mir als die Signatur englischer Verhältnisse und englischen Wesens 
die physische, intellektuelle und moralische Gesundheit aller Klassen ent- 
gegentrat. England erschien mir als ein durch und durch gesundes Land 
und Volk. Von der englischen Säuglingspflege, die unvergleichlich, und von
	        
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