Full text: Ludendorff, meine Kriegserinnerungen 1914-1918

46 Tannenberg 
  
In Galizien war die Lage schon jetzt ungünstig geworden. Die Masse 
des russischen Heeres hatte sich gegen die österreichisch-ungarischen Armeen 
geworfen und sie Ende August östlich Lemberg geschlagen. Die k. u. k. 
Armee war zu Kriegsbeginn kein vollwertiges Kampfinstrument. Hätten 
wir wirklich Angriffsgedanken vor dem Kriege gehabt, so hätten wir darauf 
dringen müssen, daß Österreich-Ungarn seine Wehrmacht verbesserte. Auch 
sein Eisenbahnnetz, das vollständig unzureichend war, wäre auszubauen 
gewesen. Es bleibt aber trotzdem ein schwerer Fehler, daß wir das unter- 
lassen haben. Der Dreibund war nur ein politisches Bündnis. Dasjenige 
zwischen Frankreich und Rußland trug einen ausgesprochen militärischen 
Charakter. Hieraus ergab sich ein großer Vorsprung unserer Feinde. 
Auch unsere Abmachungen mit Österreich-Ungarn für einen gemein- 
samen Krieg waren nur dürftige. General Graf v. Schlieffen fürchtete einen 
Vertrauensbruch, wie ein solcher auch tatsächlich vorgekommen war. Ein 
gemeinsamer Operationsplan hat nur in sehr rohen Formen bestanden. Der 
Aufmarsch des österreichisch-ungarischen Heeres jenseits des San war nur 
gerechtfertigt, wenn es sich allein dem russischen Heere überlegen fühlte, wie 
es von vielen österreichisch-ungarischen Offizieren auch angenommen wurde, 
oder wenn wir gleichzeitig mit starken Kräften über den Narew gehen 
konnten. Hierzu waren wir nicht in der Lage, da die letzte Heeresvorlage 
die vom Generalstabe erhofften drei Armeekorps nicht gebracht hatte. Jetzt 
war außerdem der Ausfall Italiens an der Westfront zu decken. 
Nach unseren älteren militärischen Abmachungen mit Italien sollten 
drei italienische Armeekorps mit zwei Kavallerie-Divisionen im Elsaß auf- 
marschieren, während die Masse des Heeres, abzüglich des Küstenschutzes, 
an der französischen Grenze Oberitaliens versammelt wurde. Die Flotte 
sollte gleichzeitig dahin trachten, die Verbindung Frankreichs mit seinem 
Kolonialreich in Nordafrika zu unterbrechen. Eine Zeitlang wurde mit 
diesen Verabredungen gerechnet. Dann fielen sie weg. Auf ausdrücklichen 
Wunsch des Chefs des italienischen Generalstabes, Generals Pollio, wurden 
die Maßnahmen wieder bearbeitet. · 
Im Sommer 1914, kurze Zeit vor dem Kriege, starb General Pollio. 
Frankreich brauchte nicht einen Mann an seiner Südostgrenze stehen zu 
lassen. Es konnte alles gegen uns einsetzen, da es genau wußte, daß Italien 
nicht auf unserer Seite in den Krieg eintreten würde. Unser früherer Ver- 
bündeter hat uns dadurch ganz ungemein geschadet. Der Ernst seiner Lage 
England gegenüber war nicht zu verkennen. Die Gegnerschaft gegen Öster- 
reich-Ungarn bestand. Diese Verhältnisse waren alt und hatten Italien 
doch nicht gehindert, mit Österreich-Ungarn und uns das Bündnis zu 
schließen. Es hatte viele Vorteile von ihm gehabt. Wir durften zum min- 
desten erwarten, daß Italien sich uns verpflichtet fühlte. Ein gesunder
	        
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