574 Der Endkampf Sommer und Herbst 1918
dauernde Lesen der feindlichen Heeresberichte hatte schon genug Schaden
getan. Das Mißtrauen gegen die Meldungen der Obersten Heeresleitung
ging stellenweise so weit, daß sie an der Hand der feindlichen Heeresberichte
verglichen wurden. Das war so recht deutsch!
War es nicht ein großer strategischer Sieg, wenn wir die Flandern-
front z. B. 1917 hielten, obschon wir taktische Mißerfolge hatten, die uns
Gefangene und Materialverlust kosteten? Wenn ich meldete, der Feind
wäre in unsere Artillerie eingebrochen, so ergab sich hieraus der Verlust
an Gefangenen und Geschützen. Genügte das nicht? Wollte man noch im
Unglück wühlen?
Die Oberste Heeresleitung hatte den Abdruck der feindlichen Heeres-
berichte im Vertrauen auf die Einsicht des deutschen Volkes zugelassen. Ich
hatte später die Empfindung, daß es ein Fehler war. Der Feind trieb mit
seinen Berichten förmlich Propaganda bei uns und drückte unsere Stim-
mung. Ein nachträgliches Verbot, die Berichte wiederzugeben, erschien mir
allerdings noch fragwürdiger. Frankreich wußte sehr gut, warum es den
Abdruck unserer Heeresberichte nicht zuließ, obwohl wir keinerlei Propa-
ganda durch sie trieben. "
Daß ich auch Rücksichten auf den Eindruck der Heeresberichte bei den
Verbündeten zu nehmen hatte, habe ich dargelegt. Dies war schwer-
wiegend in einer Lage, in der unsere Bundesgenossen alle Hoffnungen auf
uns setzten.
Eins muß unbedingt zugegeben werden: die Wolffschen Kommentare
zu meinen Heeresberichten, die in Berlin entstanden und lediglich für das
neutrale Ausland bestimmt waren, hatten keine glückliche Fassung. Für
den Ton der Telegramme lagen gute Gründe vor. Als ich aber die sich
hieraus ergebenden Mißstände erkannte, stellte ich sie sofort, wenn auch
zu spät, ab.
In der Woövre-Ebene gelang trotz schmerzlicher Einbuße die Räumung
des Bogens und das Beziehen der Michelstellung. Schon am 13. flaute die
Gefechtstätigkeit ab. Die Meldungen, die ich erhielt, ließen uns mit der
Fortsetzung des Angriffs gegen die Michelstellung rechnen.
Nach dem 22. änderte sich das Bild vor der Heeresgruppe v. Gallwitz.
Die Wahrscheinlichkeit eines solchen Angriffs trat zurück; ein Kampf beider-
seits der Argonnen schien nahe bevorzustehen.
Auch die Front der Heeresgruppe Herzog Albrecht konnte als ge-
fährdet gelten, doch das war mehr Vermutung meiner Mitarbeiter als
durch Nachrichten begründet. Ihnen gegenüber hielt ich an der Auffassung
fest, daß die Ausdehnung des Angriffs zwischen Reims und der Maas
eher zu erwarten sei als ein Stoß in Lothringen.
Unsere Truppen waren überaus mitgenommen, die Stände wurden