592 Der Endkampf Sommer und Herbst 1918
Vielleicht hätte ich richtiger und klüger gehandelt, wenn ich schon Anfang
Oktober bestimmt an die Regierung die Frage gestellt haben würde, über die
sie sich auch schlüssig werden mußte: Will das deutsche Volk für seine Ehre
weiterkämpfen, will die Regierung den letzten Mann aufrufen und das
Volk nochmals mit heilig ernster Begeisterung erfüllen? Ich glaube aber
noch heute, daß in diesen Tagen ein Ruf an die Heimat ohne genügen-
den Erfolg verklungen wäre. Trotz vier Jahren Krieg herrschte ja immer
noch, wie aus jenen Reden am 5. Oktober ersichtlich, Unklarheit über sein
Wesen, Regierung und Volk hatten den gewaltigen Ernst der Lage noch
nicht erkannt. Noch hatte der Feind nicht, wie er es erst für jeden deutlich
in der zweiten Wilson-Note tat, seine Vernichtungsabsichten enthüllt.
Prinz Max meinte, es wäre vorteilhafter gewesen, die Note etwa eine
Woche später abzusenden, nachdem er erst ein detailliertes Kriegszielpro-
gramm aufgestellt hätte, das vor aller Welt unsere Übereinstimmung mit
den Grundsätzen des Präsidenten Wilson und unsere Bereitwilligkeit deut-
lich machte, diesen Grundsätzen auch schwere nationale Opfer zu bringen.
Wir hatten uns bereits am 5. Oktober auf den Boden Wilsons gestellt.
Was sollte noch anderes später geschehen?
Der Umstand, daß ich, ohne irgendwie an die Offentlichkeit zu treten,
den Reichskanzler zu schnellem und energischem Handeln anhielt, nachdem
seit Mitte August nichts erreicht war, hat unsere Gesamtlage nicht ver-
schlechtert, hingegen hat die Tatsache, daß nun offen ausgesprochen wurde,
die Oberste Heeresleitung hätte den Waffenstillstand haben wollen und
dränge, ebenso, wenn nicht mehr geschadet als jene entstellten Ausfüh-
rungen über die Angaben des Majors Frhrn. v. dem Bussche.
Glaubt denn Prinz Max und nehmen die Gleichdenkenden wirklich an,
daß der gleiche Schritt um Mitte Oktober allein als Ausfluß edler Mensch-
lichkeit angesehen worden wäre, der bei der Entente besonders freundschaft-
liches Entgegenkommen hervorgerufen hätte? Dazu standen unsere Feinde
auf zu starkem realen und nationalen Boden. Sie waren auch viel zu
klug. Sie übersahen die Gesamtkriegslage ebenso gut wie die deutsche
Oberste Heeresleitung. Sie kannten die Verhältnisse in dem deutschen
Heere und in Deutschland ebenso wie die Schwäche der k. u. k. Armee in
Italien und die Zustände in Österreich-Ungarn. Aus den zahlreichen
leider oft nur zu weitgehenden Gefangenenaussagen mußten sie sich
ein vollständig klares Bild der schwachen Bestände unserer Bataillone
und darüber machen, wieviel Divisionen die Oberste Heeresleitung aufgelöst
hatte. Auch,der Niedergang des Geistes in Volk und Heer konnte ihnen
nicht verborgen geblieben sein. Aus Berlin erfuhren sie alles. Sie warteten
genau so auf unseren Zusammenbruch im Innern wie seinerzeit auf den
Zusammenbruch Bulgariens. Sie haben zweifellos viel schärfer als wir