596 Der Endkampf Sommer und Herbst 1918
seine damals geäußerte Ansicht für diesen Fall zu verwirklichen. Ich stellte
daher die entsprechende Frage. Ich mußte auch wissen, wie sich die neue
Regierung zu den Ostfragen stellte, um danach die militärischen Maß-
nahmen der Obersten Heeresleitung bemessen zu können.
Der Zusammenhang der Ereignisse in Rußland war dem neuen Kabi-
nett nicht bekannt; nur Bizekanzler v. Payer übersah ihn. Ich wußte nicht,
ob noch die gleichen Ansichten maßgebend waren wie im Februar. Bei der
außerordentlichen Bedeutung der Frage hielt ich eine Aussprache für nötig.
Ich fragte den Prinzen, wie die Regierung die Gefahr des Bolschewismus
einschätze, und ob die Ukraine in weiterer Zukunft für die Versorgung nötig
sei. Zu dieser letzten Feststellung waren eingehende Erhebungen und auch
Besprechungen mit Österreich-Ungarn ersorderlich.
Ich nahm am gleichen Tage an einer Sitzung des Kriegskabinetts teil.
Der Fragebogen wurde behandelt. Auch ich stellte meine Fragen.
Alles wurde so besprochen, wie ich es vorstehend niedergelegt habe. Be-
sondere Entschließungen wurden nicht gefaßt. Es wurde auch der Artikel
des Herrn Walter Rathenau in der „Vossischen Zeitung“ über die „Levée
en masse“ behandelt. Bei solchen Schlagworten kann ich mir wenig vor-
stellen. Die Verhältnisse lagen doch anders als 1870/71. Aber Volkskraft
und Volksenergie waren auch hiernach vorhanden, sie mußten gewonnen
werden. Es waren also doch Männer da, die mit mir glaubten, daß das
deutsche Volk trotz aller seiner gewaltigen Leistungen noch mehr geben
könne. Schade nur, daß sie damit nicht eher hervorgetreten sind. Es war
für mich besonders charakteristisch und es erfüllte mich mit neuer Hoffnung,
daß auch Männer für Fortsetzung des Kampfes eintraten, die sonst anders
denken als ich.
Am Schluß der Kabinettssitzung dankte mir Prinz Max für mein
Kommen. Mit Zustimmung des Generalfeldmarschalls erklärte ich in einer
kurzen Erwiderung ausdrücklich, wir würden die neue Regierung loyal
unterstützen.
Das Kabinett war zu vielköpfig. Es nannte sich zwar Kriegskabinett,
hatte aber mit denen unserer Feinde nichts gemein.
Am Abend kamen noch verschiedene führende Persönlichkeiten des
öffentlichen Lebens auf kurze Augenblicke zu mir, die mich fragten, ob
die Oberste Heeresleitung tatsächlich das Waffenstillstands= und Friedens-
angebot veranlaßt habe. Ich betonte es besonders scharf, daß dies richtig
sei, wie ich es schon in der Pressebesprechung am 9. Oktober hatte mit-
teilen lassen, nachdem ich einen militärischen Schaden nicht mehr befürchten
konnte. Ich war solche Erklärung der Regierung des Prinzen Max
schuldig. Die Herren weiter über alles das aufzuklären, was ich dachte und
fühlte, war nicht meines Amtes.