Full text: Ludendorff, meine Kriegserinnerungen 1914-1918

54 Tannenberg 
  
VII. 
Im Westen hatte der deutsche Vormarsch mit einem Rückschlag geendet. 
Der rechte Flügel des deutschen Westheeres war zu schwach und holte 
nicht weit genug aus, das Wegziehen des Garde-R. K. und des XI. A. K. 
hatte sich verhängnisvoll fühlbar gemacht. Der Flügel war im Gegenteil 
durch Korps aus Lothringen und dem Elsaß zu verstärken. So wollten es 
auch die Studien des Generals Grafen v. Schlieffen. Es war mithin auch 
seinen Anschauungen entgegen gewesen, daß die dort aufmarschierenden 
deutschen Truppen so weit gegen die Linie Lunéville—Epinal vorgeführt 
wurden und sich dort festliefen. So wäre es für das ganze Heer ge— 
kommen, wenn wir nicht durch Belgien vormarschierten, sondern den 
rechten Flügel südlich Longwy gehalten hätten. Während wir an den 
französischen Sperrfestungen in der Linie Verdun—Belfort verbluteten, 
wäre unser rechter Flügel aus Belgien heraus von den vereinigten bel- 
gisch-französisch-englischen Armeen angegriffen und geschlagen worden. Wir 
hätten gleichzeitig damit unser niederrheinisches Industriegebiet verloren. 
Unsere Niederlage wäre besiegelt gewesen. 
Der Rückzug von der Marne war befohlen, ob begründet oder nicht, 
habe. ich nie feststellen können. 
Der Krieg mußte jetzt lange andauern, vom Vaterlande Ungeheures 
gefordert werden. Es war die Stunde, wo in Deutschland auch tatsächlich 
alles auf den Krieg einzustellen war und eine großzügige Aufklärungs- 
arbeit zu beginnen hatte. Ich war überrascht über die Stimmung, die ich 
Ende Oktober 1914 in Berlin antraf. Von dem ungeheuren Ernst unserer 
Lage war nichts zu merken. 
Es war ein schweres und verhängnisvolles Ereignis, daß Deutschland 
bei der zahlenmäßigen Unterlegenheit des Zweibundes und umstellt von 
Feinden den ihm aufgezwungenen Krieg nicht in kühn geführtem Schlage 
gewann und den an Zahl überlegenen, aber weniger gut ausgebildeten 
Feind schlug. Jetzt war damit zu rechnen, daß die Heere im Laufe des 
Kriegs in ihrer Ausbildung gleichmäßiger wurden, auch wenn zu hoffen 
war, daß ein gewisses übergewicht des deutschen in seiner gefestigten Tra- 
dition noch lange anhalten würde. Der starke Ausfall an aktiven Offizieren 
konnte bedenklich stimmen. Jedenfalls hatte alles zu geschehen, um uns 
unsere Überlegenheit in der Ausbildung zu sichern, damit die des Feindes 
an Menschen weniger empfindlich würde. 
Wir mußten namentlich darauf gefaßt sein, daß England die Zeit be- 
nutzen werde, um seine Wehrkraft zu verstärken und sich neben seiner Flotte 
auch noch eine starke Armee zu schaffen. Menschen waren dazu da. Dem- 
gegenüber durften wir nichts versäumen, um den Krieg doch noch zu ge-
	        
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