Der Umschwung der Lage im Westen 55.
winnen. Deutschland mußte ein bewaffnetes Heerlager werden. Das
war auch mein Neujahrswunsch, den ich zum 1. Januar 1915 an
eine Zeitung sandte. Die Oberste Heeresleitung hatte im Herbst
1914 und Winter 1914/15 18 bis 20 Divisionen aufgestellt. Wir schufen
aus Landwehr= und Landsturmformationen neue Divisionen. Wir be-
gannen damit, die Bataillonszahl der Division von 12 auf 9 herabzusetzen
und aus den so gewonnenen Bataillonen unter Zuteilung von Artillerie
und Sonderwaffen weitere Divisionen aufzustellen. Wir taten viel, aber
doch nach vielen Richtungen hin nicht genug.
Die 8. Armee wäre jetzt durchaus in der Lage gewesen, Korps nach
dem Westen abzugeben. Ich weiß nicht, ob der Gedanke bei der Obersten
Heeresleitung erörtert worden ist oder ob die Lage der k. u. k. Armee ihn
gar nicht hat aufkommen lassen. Diese war, wie ich jetzt leider sah, voll-
ständig geschlagen und ging unter außerordentlichen Verlusten über den
San zurück. Der Russe folgte. Ein russischer Einfall in Mähren, dann
auch in Oberschlesien, wurde möglich. Der k. u. k. Armee mußte geholfen
werden, wenn sie nicht vernichtet werden sollte. Ein Vorgehen der
8. Armee über den Narew, so wie es Anfang September gedacht war,
wäre ein Luftstoß geworden. Die Unterstützungen mußten unmittelbar
kommen und konnten nicht stark genug sein. Den Westen vermochten wir
nicht zu verstärken.
In dem Befehl, den ich am 14. abends in Insterburg bekam, war
ausgeführt, daß zwei Armeekorps der 8. Armee die Südarmee in Ober-
schlesien zu bilden hätten. Das sah nur nach Abwehr und wie eine Schutz-
maßnahme aus. Es genügte jedenfalls nicht, um die Lage in Galizien
auch nur einigermaßen wiederherzustellen. Wir durften nicht nur ab-
wehren, wir mußten handeln. Ich schlug in einem Ferngespräch deshalb
der Obersten Heeresleitung und auch noch General v. Moltke persönlich
sofort vor, die Masse der 8. Armee unter dem inzwischen dazu ernannten
Generaloberst v. Hindenburg nach Oberschlesien und Posen zu senden. Nur
schwache Teile dürften zum Schutze Ostpreußens selbst auf die Gefahr hin
zurückgelassen werden, daß Rußland mit frischen Kräften von neuem in
das arme Land einfiel. Allerdings hoffte ich, daß das noch recht lange
Wege hätte. Schon während der Operationen war für alle Fälle der ver-
stärkte und erweiterte Ausbau von Lötzen und der Seen-Stellung angeord-
net. Wir drangen darauf, daß nicht nur ein Plan entworfen, sondern tat-
kräftig mit den entsprechenden Arbeiten begonnen wurde. Auch die
Angerapp-Linie sollte befestigt werden. Diese Maßnahmen trugen der ver-
änderten Kriegslage Rechnung und haben sich später bezahlt gemacht.
General v. Moltke stellte mir die Prüfung meines Vorschlages in Aus-
sicht und machte mir kurz Mitteilung über den Umschwung der Lage im