62 Der Feldzug in Polen Herbst 1914
übrigen Teile der 8. Armee waren bis an die Njemenstrecke Grodno—
Kowno vorgedrungen, um den Anschein zu erwecken, als ob deutscherseits
dort die Fortsetzung der Offensive beabsichtigt sei.
Am 29. September ging hier Rennenkampf, der nicht unerheblich
verstärkt war, zum Angriff über und drängte in den folgenden Wochen
die 8. Armee gegen und — bei Lyck — auch über die Grenze zurück.
Die 8. Armee war zwar dem Generaloberst v. Hindenburg unter-
stellt. Wir hatten aber soviel mit eigenen Angelegenheiten zu tun, die
Verbindungen waren zudem so schlecht und wurden immer schlechter, daß
wir keinen Einfluß auf die Operationen unserer alten Armee ausüben
konnten. Dies war erst möglich, als im November die 9. Armee einen
besonderen Oberbefehlshaber erhielt und Generaloberst v. Hindenburg von
einer unmittelbaren Armeeführung entbunden war. Der bevorstehende
Feldzug der 9. Armee wurde durch die Ereignisse bei der 8. in keiner Weise
beeinflußt.
Auf unserem rechten Flügel hatte sich die Lage unserer Verbündeten
erheblich gebessert. Der Russe war über die Wisloka nur noch zurückhal-
tend gefolgt. Die k. u. k. Armee konnte zu Atem kommen und in den ersten
Oktobertagen den Vormarsch antreten. Die für das Vorgehen nördlich der
oberen Weichsel bestimmte 1. Armee, General v. Dankl, und das Land-
wehrkorps standen südlich des Stroms zwischen dem Dunajek und Krakau
bereit, sich dem Vormarsch der 9. Armee anzuschließen.
Dieses Korps muß besonders gedacht werden. Es bestand aus je einer
Division posenscher und schlesischer Landwehr. Ihre Verwendung war ur-
sprünglich mehr im Grenzschutz gedacht. Aber, wie es immer ist, Truppen,
die irgendwo stehen, werden herangezogen, wenn es zum Kampfe kommt.
So hatte auch das Landwehrkorps im August den Vormarsch nach Polen
hinein und über die Weichsel angetreten. Hierfür waren viele Improvi-
sationen bei den Divisionen nötig geworden. Nach dem Weichselübergang
griff es in die schweren Kämpfe des k. u. k. Heeres südlich Lublin ein. Es
mußte dann den Rückzug desselben durch die Tanewregion, ein wegeloses
Sumpf= und Waldgebiet östlich des unteren San, mitmachen.
Das Landwehrkorps war bereits im August an die Befehle des
Generalobersten v. Hindenburg gewiesen worden. Wir konnten nicht ein-
greifen und mußten dem Generalkommando die volle Freiheit seiner Ent-
schließungen lassen. Das war für uns um so leichter, als wir den vortreff-
lichen Führer, General v. Woyrsch, und seinen verdienstvollen Chef, Oberst
Heye, kannten.
Kurz vor meiner Abreise aus Insterburg war ein Kraftwagenführer
mit Schriftstücken angekommen und hatte gemeldet, daß er die geretteten
Akten des Landwehrkorps brächte. Das Korps wäre vernichtet. General