74 Der Feldzug in Polen Herbst 1914
russischen Vormarsches vorzugehen, um ihn zum Stehen zu bringen. Welche
Kräfte für diese Operation verfügbar gemacht werden konnten, war eine
zweite Frage.
Zunächst war es notwendig, dem Russen möglichst langen Aufenthalt
zu bereiten und ihn von den deutschen Bahnen fernzuhalten. Die Eisen—
bahn- und Straßenzerstörungen waren in musterhafter Weise vor—
bereitet. Uns hatte die Erfahrung gelehrt, daß ein modernes Heer sich etwa
120 km von seinen Eisenbahnendpunkten entfernen kann. Traf dies zu
und gelang es uns, die Eisenbahnen so zu zerstören, wie ich hoffte, so
konnten wir damit rechnen, den russischen Massen noch vor unserer Grenze
auch ohne Waffengewalt einen vorübergehenden Halt zu gebieten. Trotz
aller Vorbereitungen war es nicht leicht, die Eisenbahnzerstörungen nun
auch wirklich durchzusetzen, die Truppen wollten immer noch damit warten.
Es half aber nichts, ich befahl und überwachte sie. Hauptmann Sperr
unterstützte mich dabei ganz vortrefflich. Die Straßenbrücken wurden von
den Truppen ohne weiteres zerstört. Gewaltige Arbeit wurde geleistet.
Ich hatte die Genugtuung, daß der feindliche Vormarsch immer langsamer
wurde und tatsächlich auf der oben erwähnten Entfernung zum Stehen
kam, obschon wir große Landesvorräte zurückließen. Sie zu vernichten,
hatte ich untersagt.
VIII.
Noch Ende Oktober hatte mich General v. Falkenhayn nach Berlin
gerufen. General v. Conrad hatte ihm vorgeschlagen, starke Kräfte aus
dem Westen nach dem Osten zu fahren. General v. Falkenhayn äußerte
sich über den Angriff bei Dpern aussichtsvoll und wollte sich Weiteres
vorbehalten. Ich konnte ihm bestimmte Aufschlüsse über die Absichten des
Armee-Ober-Kommandos nicht geben. Es war noch alles in der Schwebe.
In Berlin kam ich mir vor wie in einer anderen Welt. Der Unterschied
zwischen der ungeheuren Anspannung, die ich seit Kriegsbeginn durchlebt
hatte, und dem Treiben in Berlin war zu gewaltig. Es herrschte Ver-
gnügungs= und Genußsucht. Der Ernst gegenüber unserer schwierigen
Kriegslage fehlte. Ich gewann einen unangenehmen Eindruck und fühlte
mich fremd. Als ich wieder nach Tschenstochau zurückkam und mich im
Kameradenkreise befand, war ich zufrieden.
Am 3. November vormittags stand in mir fest, daß neues Handeln
geboten sei. Ich bat den Generalobersten v. Hindenburg, dem früher er-
örterten Gedanken eines Aufmarsches bei Hohensalza zuzustimmen. Die
Befehle wurden sofort gegeben und der Obersten Heeresleitung der Ent-
schluß gemeldet.