Oberbefehlshaber Ost 75
Sie hatte der Entwicklung im Osten mit den allerschwersten Sorgen
zugesehen.
Die Lage bei Mlawa und an der Ostgrenze Ostpreußens wurde mit
jedem Tage ernster. Das neugebildete XXV. R. K., zur Verstärkung nach
Ostpreußen geschickt, hatte sich heldenmütig geschlagen. Es stellte sich aber
bald heraus, daß der Kampfwert der Neuformationen weit hinter dem der
Truppen zurückblieb, die sich aus langgedienten Mannschaften zusammen-
setzten und mit frischen und tatkräftigen Offizieren ausgestattet waren. Diese
neuen Armeekorps hatten einen wundervollen Menschenbestand in Reih
und Glied, aber es waren noch keine Soldaten. Ihr Heldenmut und ihre
Hingabe ersetzten die fehlende Ausbildung nicht. Auch die vielen inaktiven
Offiziere, die bei ihnen wieder Verwendung fanden, taten ihr möglichstes,
aber ihnen mangelte doch die Praxis. Ausnahmen gab es natürlich. Eine
Armee läßt sich nicht in wenigen Wochen schaffen. Sie braucht hierzu
langer Schulung und Tradition. Das zeigen auch die englischen Divisionen
und die amerikanischen Truppen; auch sie haben ihre Unerschrockenheit mit
schweren Opfern bezahlen müssen. Das XXV. R. K. hatte die Lage an
der ostpreußischen Grenze nicht zu ändern vermocht. Jetzt stand zu er-
warten, daß der Großfürst nicht nur mit seiner gewaltigen Überlegenheit
aus dem Weichselbogen Deutschland und Österreich entscheidend treffen,
sondern gleichzeitig das deutsche Land östlich der Weichsel angreifen würde,
um auch hier die Entscheidung zu suchen und uns zum mindesten an Kräfte-
verschiebungen zu verhindern.
An der gesamten Ostgrenze des Königreichs Preußen mußten sich
Kämpfe entwickeln, die in engstem Zusammenhang miteinander standen.
Eine einheitliche und straffe Führung war Erfordernis. Schon bei meinem
Zusammensein mit General v. Falkenhayn in Berlin war dies besprochen
worden. Am 1. November hatte Seine Majestät den Generaloberst v. Hin-
denburg zum Oberbefehlshaber Ost unter gleichzeitiger Enthebung von der
Stellung als Oberbefehlshaber der 9. Armee ernannt. Diese bekam auf
unseren Vorschlag General v. Mackensen. Ich blieb Chef bei Generaloberst
v. Hindenburg. Die Mehrzahl meiner Mitarbeiter trat zum neuen Stabe.
Der Befehlsbereich des Oberbefehlshabers Ost erstreckte sich nun in
ausgesprochener Weise über die 8. und 9. Armee und die stellvertretenden
Generalkommandos I., XX., XVII., II., V. und VI. Armeekorps in den
Provinzen Ost= und Westpreußen, Pommern, Posen, Schlesien mit den dort
befindlichen Ostfestungen.
Später trat das Korps Zastrow bei Soldau—Mlawa, das zunächst
noch der 8. Armee unterstand, unmittelbar unter den Oberbefehlshaber Ost.
Die Befehlsgliederung war gut. Sie erhob den Oberbefehlshaber über
die Einzelheiten einer Armeeführung. Trotzdem erforderten es die Verhält-