Stimmung unter den Industriearbeitern 107
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Nach Angabe zuverlässiger Industrieller sind die Arbeitsleistungen der
männlichen Arbeiter zum Teil auf 60 v. H. der normalen gesunken. Das ist
mit Rücksicht auf den herrschenden Arbeitermangel ein unerträglicher Zu-
stand. Es liegt zweifellos auch insofern ein System darin, als durch die
verminderte Arbeitsleistung mehr Entziehungen von kriegsverwendungs-
fähigen Arbeitern zum Heeresdienst verhindert werden sollen. Ich glaube,
daß diesem staatsgefährlichen Treiben mit schärfsten Mitteln entgegengear-
beitet werden muß.
3. „Eine ernste Sorge ist das Nachlassen der Moral, besonders bei den
Jugendlichen."
Auch hieran sind die hohen Löhne neben der zu großen persönlichen
Freiheit schuld. Ich glaube, daß auch dieser Frage ernsteste Beachtung
geschenkt werden muß. J. A. gez. Ludendorff.
19.
Chef des Generalstabes des Feldheeres. Gr. H. Qu., den 18. 6. 1918.
II Nr. 8771 geh. op.
An den Reichskanzler.
Euer Exzellenz ist bekannt, daß die Ersatzlage ernst ist. Die Bestände
in den heimatlichen Ersatztruppenteilen reichen bei weitem nicht mehr aus,
die Lücken im Feldheer zu füllen, trotzdem wir in der Beanspruchung der
jüngsten Jahrgänge sehr weit gegangen sind. Um üble Rückwirkungen
vorerst zu vermeiden, habe ich mich vor längerer Zeit bereits entschlossen, zu-
gunsten der Infanterie die Stärke der Etappentruppen und technischen
Formationen auf ein kaum mehr erträgliches Maß herabzusetzen und im
Benehmen mit dem Kriegsministerium zur Gewinnung von Ersatz in der
Fertigung einzelner Arten von Kriegsgerät erhebliche Einschränkungen
vorzunehmen. Hierin weiterzugehen, ist unmöglich. Es müssen vielmehr
andere Wege zur Gewinnung des notwendigen Ersatzes, der mit fort-
schreitender Kampfhandlung immer dringlicher wird, beschritten werden.
Die Arbeitsleistung des einzelnen Rüstungsarbeiters ist dauernd ge-
sunken. Die Ernährungslage und die wachsende Zahl der Jugendlichen und
Frauen vermag diese Erscheinung nur zum Teil zu erklären. Andere Gründe
sind von mindestens gleichem Einfluß gewesen. Die Löhne sind so hoch, daß
die Not des Lebens nicht mehr zur Arbeit zwingt oder zum Mehrverdienst
anreizt. Es kommt den Rüstungsarbeitern beiderlei Geschlechts nicht mehr
darauf an, durch eine hohe Tagesleistung den täglichen Lohn zu erhöhen.
Die Arbeitsdisziplin verschlechtert sich, und es breitet sich die Unsitte, selbst-
gewählte Feiertage einzulegen, immer mehr aus. Das Unternehmertum
steht diesem Treiben machtlos gegenüber, denn ein Einschreiten durch die
einzelnen Werkleitungen würde nur ein Abwandern in andere Betriebe ohne