Denkschrift über Bevölkerungspolitik 215
I. Die Abnahme unserer Volks- und Wehrkraft.
A. Wachstum der Bevölkerung bis zum Kriege.
1. Die großen Kriege früherer Jahrhunderte, besonders der Dreißig-
jährige und die Rapoleonischen, forderten zwar nachhaltige Opfer deutschen
Blutes und Gutes; auch entvölkerten die Seuchen namentlich des Mittel-
alters weite Gebiete und erstreckten ihre Wirkungen bis in die Gegenwart.
Aber alle diese Verluste, sowie die weiteren Einbußen infolge von
Krankheiten, Unglücksfällen, Selbstmorden und Auswanderung wurden
früher reichlich ersetzt durch die stetig steigende Volkszunahme, und zwar
besonders durch den Überschuß der deutschen Geburten.
2. Im Jahre 1913 zählte Deutschland 66,9 Millionen Einwohner: seit
1870/71 hatte es um 26 Millionen zugenommen.
3. Deutschland hatte Einwohner:
1871 1900 1910
in Land 26,2 Mill. = 63,9 0 25,7 Mill. = 45,6 4%% 25,8 Mill. = 39,705
in Stadt. 14.8. — 36,1 30,6 — 54,4% 3 1 — 60,3 %
41,0 Mill. 56,3 Mill. 64,9 Mill.
Im Jahre 1895 änderte sich das Verhältnis zum ersten Male zu-
ungunsten des flachen Landes, indem dieses nur noch 49 co die Stadt aber
51 % der Einwohner stellte.
Zu Beginn des Feldzuges war das Verhältnis auf 36 : 64 gestiegen,
also gerade umgekehrt wie 1871.
Ein Viertel aller Einwohner Deutschlands lebte in Großstädten (von
über 100 000 Seelen).
4. Die mittlere Lebensdauer in Deutschland stieg für die
männliche Bevölkerung von 33 (1867—1870) auf 46,4 Jahre (1906—1910),
hauptsächlich als Folge unserer verbesserten Volkswirtschaft und Hygiene').
5. Die Todesfälle nahmen ab, indem auf je 1000 Lebende
starben (ohne Totgeborene):
1871—1880 ... 27,2, 1901—1919
1891—19000 22,2, 19113
Dank den Fortschritten der Gesundheitspflege und des wirtschaftlichen
Aufschwungs starben in den letzten Jahren vor dem Kriege jährlich rund
720 000 Menschen weniger, als nach der noch vor 30 Jahren bestehenden
Sterblichkeitszisfer hätte erwartet werden müssen. Die Abnahme der
Todesfälle betraf hauptsächlich die Sterblichkeit der Erwachsenen bei meist
*) Hueppe, Deutschlands Volkskraft und Wehrfähigkeit. Bibliothek v. Coler und
o. Schjerning, Bd. 89, Berlin 1916.