Full text: Urkunden der Obersten Heeresleitung über ihre Tätigkeit 1916/18

218 XI. Bevölkerungspolitik und Fürsorge für Kriegsteilnehmer 
  
  
9. Die Ursachen des Geburtenrückganges beruhen 
nur zum geringsten Teile auf einer Abnahme der physischen Zeugungs- 
fähigkeit und auf Ehescheu, zum weitaus größten Teil hingegen auf will 
kürlicher Einschränkung der Kinderzahl innerhalb der 
Ehen. Diese in allen Kulturstaaten festzustellende Erscheinung hat in 
Deutschland bei den mittleren und höheren Schichten der Großstadtbevölke- 
rung eingesetzt und allmählich auf die übrige Bevölkerung, auch die des 
Landes, übergegriffen. Die Kinderarmut ist am stärksten bei den Fest- 
besoldeten, viel geringer bei der Industrie-, am geringsten bei der Land- 
bevölkerung. Die Großstädte liefern den geringsten Nachwuchs. (Berlin 
hatte 1876 noch 47,2 Geburten auf 1000 Einwohner, 1911 nur noch 21,6.) 
Hauptgründe sind der Wunsch der Eltern, die Kinder wirtschaftlich 
mindestens auf gleicher Stufe zu erhalten, welche die Eltern selbst erreicht 
haben, und das Bestreben der Eltern, durch den Nachwuchs nicht finanziell 
geschädigt zu werden. Sittliche und kirchliche sowie Wohnungsverhältnisse 
spielen gleichfalls eine wichtige Rolle. 
10. Wenn diesem Unheil nicht schleunigst Einhalt geboten wird, ist 
Deutschlands Weltgeltung in absehbarer Zeit gefährdet. Denn allein unser 
östliches Nachbarvolk, Rußland, wird — nach menschlicher Voraussicht — 
in etwa 50 Jahren seine jetzt 170 Millionen betragende Bevölkerung auf 
mindestens 240 bis 250 Millionen vermehrt haben. 
Daß die Überlegenheit der numerischen Stärke nicht immer den 
Ausschlag gibt, ist durch den Krieg freilich wieder erwiesen; aber die ge- 
waltige Überzahl der Feinde, die uns auch weiterhin, militärisch wie wirt- 
schaftlich, bedrohen wird, zwingt uns, die Vermehrung unserer Bevölkerung 
als wichtigstes Ziel der Friedens= wie Kriegsarbeit zu betrachten. 
Das Beispiel Frankreichs, dessen absolute Bevölkerungsabnahme seit 
1911 in Erscheinung tritt, muß uns dabei zu ernster Lehre dienen. In 
jenem Jahre nahm es um 35 000 Köpfe ab und in der ersten Hälfte des 
Jahres 1914 um nicht weniger als 25 000 Köpfe. 
11. Auf 1000 Einwohner betrug die Zahl der lebend geborenen 
Kinder: 
1901 35,7 1906 33,1 1911 28,6 
1902 35,1 1907. 32,2 1912 28,3 
1903 . 33.9 1908 32,1 1913 27,5 
1904 34,1 1900 310,0 1914 26,8 
1905 33,0 1910 28,8 1915 — 
Die Zahl der Totgeburten ist unsicher, da viele nicht standes- 
amtlich gemeldet werden. 
Im Jahre 1901 hatten wir mit 2 033 313 lebend geborenen Kindern 
die Geburtenhöchstzahl dieses Jahrhunderts. Von ihnen erlebten nur 
1 612 090 das erste Lebensjahr.
	        
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