292 XIV. Zurückhaltung in der Wahlrechtsvorlage
bedingung ist nur, daß die Regierung fest bleibt. Dann aber hieße es
auch den Führern der Arbeiterschaft Unrecht tun, wenn man ihnen
solche vaterlandsverräterischen Umtriebe zutraute, die im übrigen gegen
ihr ureigenes Interesse wären, denn ein verlorener Krieg träfe gerade die
Arbeiter am schwersten. Ohne Sieg muß der deutsche Arbeiter
verarmen. Dies haben alle Gewerkschafts= usw. Führer, mit denen ich
gesprochen habe, offen zugegeben. Außerstenfalls aber müssen wir gegen
ungerechtfertigte Bewegungen mit allen Mitteln vorgehen.
Wir haben also meines Erachtens gar keinen Grund, uns durch die
Besorgnis vor Generalstreiks in unserer Politik irgendwie bestimmen zu
lassen. Wir können sie vielmehr so führen, wie das Gesamtwohl es er-
fordert. Hierzu aber gestatten Euer Exzellenz mir noch einige Bemerkungen
allgemeiner Art.
Ich bin der Ansicht, daß der Krieg uns wahrlich keinen Grund zur
Demokratisierung und Parlamentarisierung gegeben hat; die Zustände in
den demokratisch regierten feindlichen Ländern können uns in keiner Weise
zur Nachahmung reizen.
Vielmehr halte ich eine Politik des Nachgebens gegenüber dem
„Zeitgeist“ für außerordentlich gefährlich. Sie muß in ihren Konsequenzen
zum Niedergang führen. Das zeigt die Geschichte und in gewisser Weise
auch der bisherige Verlauf unserer Politik. Das Wiederaufnehmen der
Führung durch die Regierung bis auf die Zeit nach dem Kriege zu ver-
schieben, hieße, sich selbst etwas Unmögliches vortäuschen. Ich möchte es
Euer Exzellenz persönlich gegenüber nicht unerwähnt lassen, daß ich gerade
in dem nachgebenden Verhalten des früheren Reichskanzlers v. Bethmann
Hollweg gegenüber der Linken den Grund sah, daß ich sein Scheiden aus
dem Amt als eine Befreiung begrüßte.
Unsere Politik muß über den Parteien stehen und diese führen.
Das gilt angesichts der schwierigen Lage, in der wir uns nach dem Kriege
finanziell, wirtschaftlich und sozial befinden, doppelt. Wie die Regierung
diese Aufgaben lösen soll, wenn sie immer weiter nachgibt und sich nach
links orientiert, ist mir nicht klar.
Ich weiß, daß mir nachgesagt wird, ich sei überhaupt ein Gegner
politischer und sozialer Reformen. Das ist unwahr. Ich habe z. B. auf
den Gebieten der Bevölkerungspolitik, der Wohnungsreform, des
Siedlungswesens, in der Kriegsbeschädigtenfürsorge die Notwendigkeit von
durchgreifenden Anderungen den in Betracht kommenden Stellen gegen-
über vetont. Wohl aber halte ich solche „Reformen“ in der Politik
für falsch, die uns schädigen.
Das ist es, was ich glaubte, Euer Exzellenz nicht vorenthalten zu
dürfen. Meine Bemerkungen sind jedoch nur für Sie persönlich bestimmt.