350 XVI. Über den U-Bootkrieg, das Friedensangebot und die Stellung Wilsons
bereits mehrfach besprochene Interview des Staatssekretärs Lansing
im Einklang, ein Interview, in dem Lansing sagt: Amerika nähert sich immer mehr
dem Kriege. Mit dieser Überzeugung steht vollkommen im Einklang das auch bereits
besprochene Kreuzver hör, dem der Präsident Wilson im August dieses Jahres im
Senat oder im Kongreß unterworfen worden ist, ein Kreuzverhör, in dem er seine
Überzeugung ausgesprochen hat, daß er in den Krieg mit Deutschland hineingekommen
wäre, auch wenn wir keinen U-Bootkrieg gemacht hätten.“) Er konnte eben und glaubte,
nur den Krieg gegen Deutschland vermeiden zu können, wenn er den Frieden vermit-
telte. Nun kann man sa jetzt retrospektiv unzweifelhaft sagen: Ja, wenn wir uns
damals in die Hände des Präsidenten Wilson gegeben hätten — und das bedeutete
es ja —.“
Abgeordneter Dr. Sinzheimer: Exzellenz, die Außerungen vom Grafen Bern-
storff lauteten etwas anders.
Zeuge Reichskanzler a. D. Dr. v. Bethmann Hollweg: Ich glaube doch — der
Herr Graf Bernstorff hat mir bestätigt, er ist mein Nachbar —, daß ich seine Luße-
rung richtig wiedergegeben habe; vielleicht kann diese Zwischenfrage später an mich
gerichtet werden. Es ist sehr schwer, den Gedankenfaden richtig abzuwickeln, wenn
man dabei unterbrochen wird. — Aber ich möchte hinzufügen, daß mir Graf Bernstorff
eben bekundet hat, ich hätte den Sinn seiner Worte richtig wiedergegeben. Ob ich die
Formulierung seiner Worte richtig wiedergegeben habe, scheint mir nebensächlich zu
sein, wie es mir überhaupt in diesen großen Kriegsfragen nebensächlich zu sein scheint.
auf die Wortfassung eines einzelnen Telegramms, einer einzelnen Niederschrift einen
durchschlagenden Wert zu legen. Auf diese Formulierungen kommt es nicht an.
Ich fahre also jetzt in meiner früher angefangenen Ausführung fort. Unzweifel-
haft, wenn man jetzt die Sache rückschauend betrachtet, wären wir besser gefahren,
wenn wir uns damals in die Hand des Präsidenten Wilson begeben und seine Frie-
densvermittlung angenommen hätten, wiewohl — auch das möchte ich be-
tonen — der Kriegseintritt Amerikas es nach meiner Überzeugung nicht notwendig
gemacht hat, daß wir zum Frieden von Versailles gekommen sind. Aber wie lag die
Sache damals?" Wenn wir uns nun dem Präsidenten Wilson in die Hand begeben
hätten, so standen wir einem Präsidenten gegenüber, der nach der eigenen Bekundung,
auch nach der heutigen Bekundung des Grafen Bernstorff, uns nicht freundlich gesinnt
war, einem Präsidenten, dem der Senator Stone — Herr Dr. Helfferich hat das
gestern ausgeführt — im Senat zwanzig sehr schwerwiegende Vorwürfe wegen seines
unneutralen und unfreundlichen Verhältnisses zu Deutschland gemacht hat; wir standen
einem Präsidenten gegenüber, der unmittelbar nach unserer Sussex-Note den Grafen
Bernstorff hat wissen lassen: gegen England kann ich nichts machen; da sind die Ge-
schäftsinteressen meines Landes entgegen. Das sind die sachlichen Momente. In den
Kampf um die Seele Wilsons, der sich hier entsponnen hat, will ich mich nicht ein-
mischen. Ich würde in diesem Kampfe zu denjenigen nicht gehören, die sich als Sach-
walter Wilsons aufwerfen.
Konnten wir nun aber gegenüber den sachlichen Momenten annehmen, daß Wil-
son, selbst wenn er es gewollt hätte, in der Lage gewesen wäre, die Entente zu
Friedensbedingungen zu bewegen, die das deutsche Volk nach der militärischen Lage,
*) Wilson sagt auch in seiner Rede vom 27. September 1918: „Wir sind in den
Krieg hineingekommen, als sich sein Charakter schon vollständig geklärt hatte und es
feststand, daß kein Volk abseits stehen und gleichgültig gegen sein Ergebnis sein konnte.“
Tatsächlich war auch bereits im Sommer 1916 ein Verteidigungsrat geschaffen, der
scheinbar die Kriegführung vorbereitete, wenn er auch nach außen andere Aufgaben zu
erfüllen hatte.