Schriftwechsel zwischen Kaiser Karl und Seiner Majestät Kaiser Wilhelm 377
ausbruch fast den Tag des Beginnens prophezeite, nirgends Glauben fand.
Ebenso überzeugt wie von meiner damaligen Diagnose bin ich von der
heutigen, und ich kann es nicht eindringlich genug wiederholen, daß wir die
Gefahren, die ich wachsen und wachsen sehe, nicht gering anschlagen mögen.
Die amerikanische Kriegserklärung hat zweifellos die Situation wesent-
lich verschärft. Es mag ja sein, daß Monate vergehen werden, bevor
Amerika nennenswerte Kräfte auf den Kriegsschauplatz werfen kann, aber
das moralische Moment, das Moment, daß die Entente neue kräftige Hilfe
erhofft, verschiebt die Situation zu unseren Ungunsten, weil unsere Feinde
bedeutend mehr Zeit vor sich haben als wir und länger warten können, als
wir dies leider imstande sind. Welchen Fortgang die russischen Ereignisse
nehmen werden, kann heute noch nicht gesagt werden. Ich hoffe — und
dies ist ja eigentlich der Angelpunkt meiner ganzen Argumentation —, daß
Rußland seine Stoßkraft für lange Zeit, vielleicht für immer, verloren hat,
und daß dieses wichtige Moment ausgenützt werden kann. Trotzdem er-
warte ich, daß eine französisch-englische, wahrscheinlich auch eine italienische
Offensive ummittelbar bevorstehen, doch glaube und hoffe ich, daß es uns
gelingen wird, diese beiden Angriffe abzuschlagen. Ist dies gelungen —
und ich rechne, daß dies in zwei bis drei Monaten geschehen sein kann —,
dann müssen wir, bevor Amerika das militärische Bild neuerdings zu
unseren Ungunsten verschiebt, einen weitergehenden detaillierten Friedens-
vorschlag machen und uns nicht davor scheuen, eventl. große, schwere Opfer
zu bringen.
Man setzt in Deutschland große Hoffnungen auf den U-Bootkrieg. Ich
halte diese Hoffnung für trügerisch. Ich leugne keinen Augenblick die fabel-
haften Leistungen der deutschen Seehelden, ich gebe bewundernd zu, daß
die Zahl der monatlich versenkten Tonnen etwas Fabelhaftes ist, aber ich
konstatiere, daß der von den Deutschen erwartete und vorausgesagte Erfolg
nicht eingetreten ist.
Euer Mojestät werden sich erinnern, daß uns Admiral v. Holtzendorff
bei seiner letzten Anwesenheit in Wien positiv vorausgesagt hat, der ver-
schärfte U-Bootkrieg werde binnen sechs Monaten England mattsetzen.
Euer Mcjestät werden sich weiter erinnern, wie wir alle diese Voraussage
bekämpft haben und erklärt haben, daß wir zwar nicht daran zweifeln, daß
der U.Bootkrieg England schädigen werde, daß aber der erwartete Erfolg
durch den voraussichtlichen Eintritt Amerikas in den Krieg paralhsiert
werden dürfte. Es sind heute 2½ Monate (also fast die Hälfte des ange-
sagten Termins) seit dem Beginne des U-Bootkrieges vergangen und alle
Nachrichten, die wir aus England haben, stimmen darin überein, daß an
einen Niederbruch dieses gewaltigsten und gefährlichsten unserer Gegner
auch nicht einmal zu denken ist. Wenn Euer Mojestät trotz