428 XIX. Der Friedensvorschlag des Papstes und der „englische Friedensfühler"“
es sich herausgestellt, daß der damalige Abgeordnete Erzberger vor mir davon unter-
richtet war, daß das Schreiben kam. Eine Indiskretion durch ihn mußte aber vor
allem verhütet werden. Deshalb konnte auch dem Nuntius gegenüber nur eine ab-
wartende Stellung eingenommen und ihm nach Ablauf einiger Zeit nur eine Antwort
allgemeinen Inhalts erteilt werden.
Daß jede Indiskretion die größten Gefahren für die Anbahnung von Verhand-
lungen in sich schloß, hat der weitere Verlauf der Verhandlungen gezeigt. Die Besprechung
im Kronrat und ihre Ziele blieben nicht verborgen. Die kriegerischen Parteien in
Deutschland, England und Frankreich bemächtigten sich der Angelegenheit, und die
Folge war, daß der Vertreter der englischen Regierung öffentlich ableugnete, daß
seitens der englischen Regierung ein Friedensangebot gemacht sei. Ich habe den
Gedanken, unter weitem Nachgeben mit Bezug auf Belgien zum Frieden zu kommen,
mit Lebhaftigkeit ergriffen und habe es durchgesetzt, daß eine einheitliche Stellung-
nahme zu dieser Frage innerhalb der maßgebenden Kreise erfolgte. Ich habe mich
bemüht, den geeigneten Weg zur Verfolgung der ersten Anregungen zu wählen. Wenn
sich der Plan zerschlug, so lag es daran, daß unsere Feinde nicht wollten.
Saarow, 26. Juli 1919. gez. Michaelis.
6.
Erster Generalquartiermeister. Gr. H. Qu., den 14. 9. 1917.
Mein Vortrag im Kronrat, wiederholt in nachstehender Denkschrift').
Bei den Verhandlungen in Berlin ist unsere und die Lage unserer
Feinde besprochen. Ich halte mich verpflichtet, hierauf nochmals zurück-
zukommen und den Gedankengang schriftlich niederzulegen, im dem ich
*) Ich nahm darin denselben Standpunkt ein, wie er im Dezember 1916 mit dem
damaligen Reichskanzler v. Bethmann Hollweg festgestellt war.
1. Anerkennung des Königreichs Polen.
2. Annexion kurländischen und litauischen Gebietes derart, daß mit Einbegrif
des Königreichs Polen eine gute, von Norden nach Süden laufende, strategische Grenze
gegen Rußland gewonnen wird.
3. Handelsvertrag mit Rußland bzw. wirtschaftliche Vorteile.
4. Garantien in Belgien, welche möglichst durch Verhandlungen mit König
Albert festzusetzen sind. Sollten solche nicht in genügendem Maße zu erreichen sein,
Annexion von Lüttich mit entsprechenden Landstreifen.
5. Räumung des französischen Okkupationsgebiets mit Ausnahme von Briey und
Longwy, gegen Räumung des von den Franzosen besetzten Teils von Elsaß-Lothringen
und strategische Grenzberichtigungen für uns in Elfaß-Lothringen, sowie Kriegsent-
schädigungen bzw. Kompensationen.
6. Rückgabe der Kolonien mit Ausnahme von Kiantschou, Karolinen und Ma-
rianen bzw. allgemeine koloniale Verständigung, Erwerbung des Kongostaats oder eines
Teils desselben.
7. Entschädigung für die Auslandsdeutschen und den deutschen Besitz im Ausland,
soweit dieser geschädigt ist.
8. Einverleibung Luxemburgs in das Deutsche Reich.
Die Bedingungen Österreich-Ungarns lauteten:
1. Integrität der Monarchie.
2. Geringfügige Grenzverbesserungen gegen Rußland.
3. Strategische Grenzverbesserungen gegen Rumänien (Eisernes Tor, ev. auch
Bistritza-Tal).
4. Wiederherstellung des Königreichs Serbien unter Abtretung der an Bulgarien
versprochenen Gebietsteile, albanischer Gebietsteile an Albanien, der Matschwa und von