Mein Vortrag im Kronrat am 11. September 1917 433
daß es auch seinen politischen Anschluß an uns sucht. Der wirtschaftliche
Anschluß wird ohne starken militärischen Druck — längere Okkupation — und
ohne Besitzergreifung von Lüttich nicht ins Werk zu setzen sein. Die Neu-
tralität Belgiens ist ein Phantom, mit dem praktisch nicht gerechnet
werden darf.
Ganz sicher wären wir erst, namentlich da der Tunnelbau Dover—
Calais Wirklichkeit wird, wenn wir ganz Belgien militärisch besetzten und
an der flandrischen Küste stünden. Trotz aller Schwierigkeiten Englands
können wir dies zur Zeit nicht erreichen.
Es fragt sich, ob wir um dieses Ziel den Krieg fortsetzen müssen. Das
ist meines Erachtens der Fall, wenn die Engländer einen Gebietsstreifen
in Frankreich (Calais) behalten. Tun sie das nicht, so wäre der Besitz der
flandrischen Küste für uns kein Grund zur Fortsetzung des Krieges über
den Winter hinaus.
Wir müssen dann die von der flandrischen Küste aus erstrebte Ein-
wirkung auf England auf Umwegen erreichen können. Ich halte dies für
möglich, wenn Belgien, wirtschaftlich mit dem Deutschen Reich eng ver-
bunden und in Wallonien und Vlamland geteilt, mit der Zeit den Schutz
gegen Frankreich und England selbst übernimmt und nach Beendigung der
Okkupation sich ein Heer und eine Marine hält.
Der Anschluß Belgiens an Deutschland wird zur Folge haben, daß bei-
einer klar ihr Ziel verfolgenden Politik Holland an uns gezogen wird, zu-
mal wenn sein Kolonialbesitz durch ein mit uns verbündetes Japan garan-
tiert wird. Damit kommen wir wieder an die England gegenüberliegende
Festlandsküste und verwirklichen das Ziel, das die Marine schon jetzt in
richtiger Erkenntnis seiner Bedeutung anstrebt. Wir erhalten eine Stellung
England gegenüber, die es uns ermöglicht, unseren Handel im nächsten
Kriege aufrechtzuerhalten. Dies ist das dritte große Ziel, das wir nicht aus
den Augen verlieren dürfen.
Hierzu gehören außer Rußland überseeische Absatzgebiete in Süd-
amerika, ein Kolonialreich in Afrika und Flottenstützpunkte in oder außer-
halb des Kolonialreiches. Namentlich wenn wir jetzt auf die flandrische
Küste verzichten, hat die Marine ein Recht, Stützpunkte als Kompen-
sation, wie das auch der Herr Reichskanzler ausgesprochen hat, zu fordern,
die es ihr ermöglichen, im nächsten Kriege Deutschland den Weg auf dem
Weltmeer und damit seine Zufuhr von auswärts zu erhalten. Je mehr
wir von diesem Ziele zurückbleiben, desto größer werden die Mittel, die
wir zinslos in Deutschland an Rohstoffen niederlegen müssen.
Daß ein durch günstige Handelsverträge eng mit uns verbundenes
Dänemark unsere maritime Geltung und unsere Handelsfreiheit stark er-
höhen würde, sei nur gestreift. gez. Ludendorff.
Urkunden der Obersten Heeresleltung 1916 J1918. 28