480 XXI. Verschiedenes aus der ersten Jahreshälfte 1918
Wir dürfen uns nicht wie bisher von den Ereignissen treiben lassen
und warten, ob uns eines schönen Tages die politischen Früchte unserer
Siege in den Schoß fallen. Ohne das Einsetzen einer planmäßig handeln-
den Staatskunst vor Abschluß der militärischen Operationen kann der
staatsmännische Friede nicht sichergestellt werden, der allein unseren
Interessen entspricht.
5.
Englisch—österreichisch-ungarische Verhandlungen.
Botschafter Graf Wedel in „Hamburger Nachrichten“.
Graf Czernins Versuche gingen weiter. Im Frühjahr 1918 leuchtete noch einmal
ein Hoffnungsschimmer. Es fand in Genf eine Unterredung zwischen dem Buren-
general Smuts und dem österreichisch-ungarischen Botschafter Grafen Mensdorff
statt. Die Anregung war — und das erschien hoffnungsvoll — von England aus-
gegangen. Lloyd George sandte den ihm persönlich nahestehenden General Smuts.
Wien fand in dem langjährigen Botschafter Grafen Mensdorff den richtigen Mann.
Er war in London sehr beliebt gewesen, man hatte dort zu ihm Vertrauen, man kannte
ihn als englandfreundlich und wußte, daß er 1914 sein Bestes getan hatte, den Krieg
zu verhindern, und den Ausbruch des Konfliktes tief bedauerte. Graf Czernin konnte
sich darauf verlassen, daß dieser bewährte Diplomat seine Worte glücklich wählen würde,
er konnte sich aber auch darauf verlassen, daß der gewissenhafte und seiner Verantwor-
tung bewußte Beamte sich genau an die Direktive halten würde, die ihm Graf Czernin
mitgab. Diese Direktive bedeutete: sofort fragen, ob ein allgemeiner Friede in Frage
komme, ob auch für Deutschland eine Friedensmöglichkeit bestehe, bejahendenfalls
Vorschlag, einen Vertreter der deutschen Regierung zuzuziehen, verneinendenfalls Er-
klärung, daß weitere Besprechung zwecklos sei. Wie mir Graf Mensdorff nach seiner
Rückkehr erzählte, hat ihm Smuts auf die Frage geantwortet, mit Deutschland könne
nicht gesprochen werden. Auf den Einwand des Grafen Mensdorff, ob man denn nicht
endlich wünsche, dem Wahnsinn gegenseitiger Vernichtung ein Ende zu machen, ob man
denn immer noch glaube, die deutsche Armee besiegen zu können, erfolgte die Antwort:
nein, das glaube man nicht, man mache sich keine Illusionen, man glaube nicht, Deutsch-
land militärisch besiegen zu können, aber der Augenblick, mit Deutschland zu sprechen, sei
noch nicht gekommen. Das war in den ersten Monaten 1918. Also damals noch nichtl!
Botschafter Graf Wedel erzählt weiter, wie er mit einem hochgestellten englischen
Offizier der Ententekommission in Wien im Herbst vorigen Jahres (1918) in ein Gespräch
kam. In dessen Verlauf kam der Engländer auf die Verständigungsmöglichkeit zu
sprechen. Eine Verständigung sei möglich gewesen, solange Asquith am Ruder war.
Asquith und ebenso Grey seien Friedensmänner, sie seien widerwillig in den
Krieg hineingerutscht und würden demselben gern ein Ende bereitet haben, wenn
sich dazu eine für England annehmbare Gelegenheit geboten haben würde, nicht
weil sie eine Niederlage befürchtet hätten, sondern weil sie in einer langen Fort-
setzung des Weltkrieges eine große Gefahr für ganz Europa, also auch für England,
erblickt hätten. Ob man denn in Deutschland nicht bemerkt habe, daß Grey einige
Monate nach Kriegsausbruch öffentlich erklärt habe, wenn man sich über die Wieder-
herstellung Belgiens einige, so könne man jetzt Frieden schließen. — Wohl hat man
es bemerkt; aber damals erwartete das ganze deutsche Volk nach großen Siegen in
West und Ost und Besetzung feindlicher Gebiete eine Entschädigung für die dargebrachten
Opfer! — Die Situation habe sich völlig verändert, fuhr der Engländer fort, seit
Lloyd George die Zügel der Regierung ergriffen habe. Dieser habe eine ganz andere
Auffassung von der Bedeutung des Krieges gehabt als sein Vorgänger. Lloyd George
sei der Überzeugung gewesen, daß der Kampf um die Hegemonie in Europa zwischen