Full text: Urkunden der Obersten Heeresleitung über ihre Tätigkeit 1916/18

Englisch—österreichisch-ungarische Verhandlungen 487 
  
England und Deutschland einmal ausgefochten werden müsse bis zur endgültigen 
Entscheidung. Einem verfrühten Frieden werde ein zweiter Krieg folgen, in welchem 
Deutschland über eine ganz andere U--Bootflotte verfügen, England aber kaum so viele 
Bundesgenossen auf den Plan rufen könne. Die Chancen im zweiten Kriege würden 
daher für England viel ungünstiger, für Deutschland viel günstiger sein. Dieses sei 
Lloyd Georges Überzeugung. Er habe daher wiederholt auf die Notwendigkeit der 
Fortsetzung des Kampfes bis zur endgültigen Entscheidung hingewiesen, er habe erklärt, 
„einer bleibe oben, der andere unten“, so müsse der Krieg enden. Ob man diese Er- 
klärung des leitenden englischen Staatsmannes in Deutschland für Bluff gehalten habe? 
Seit Lloyd George das Staatsruder führe, sei ein Verständigungsfrieden 
ausgeschlossen gewesen, denn man habe ja berechnen können, daß die Siege 
auf dem Schlachtfelde nicht entscheidend seien, daß vielmehr die Dauer des Krieges 
entscheiden müsse, daß den Mittelmächten der Atem schließlich ausgehen müsse, da sie 
mit Menschen und Material früher zu Ende sein mußten als die aus fast unversiegbarer 
Quelle schöpfende Entente. England habe den Krieg gar nicht verlieren können, nicht 
einmal durch den eventuellen Verlust von Paris oder Calais. Es würde den Krieg 
an anderer Stelle fortgesetzt und mit Hilfe der Blockade Deutschland schließlich doch 
zum Nachgeben gezwungen haben. England sei nie auf dem Lande, sondern nur auf 
der See zu schlagen. Dazu aber sei die deutsche Flotte nicht stark genug gewesen und 
das U-Boot habe trotz fataler Wirkung England doch nicht ernstlich gefährden können. 
Die Abwehrmittel, namentlich das Konvoisystem, hätten den U-Bootkrieg schließlich 
abgeschwächt und eine vortreffliche Organisation in der ganzen Welt für genügenden 
Tonnageersatz gesorgt. — Der Offizier war an der Front gewesen, vielleicht wußte er 
nicht, daß Lloyd George wegen der Versenkungen doch besorgt war, oder er wollte als 
Soldat eine Gefahr für England nicht zugeben, die im Sommer 1917 auch in der 
Nervosität der englischen Presse erkennbar war. 
Kommt man auf die Frage zurück, war ein Verständigungsfriede möglich?, so 
muß ich dieselbe nach Wiener Beobachtungen dahin beantworten: er lag in einem 
günstigen Augenblick 1917 im österreichischen Sinne, also „mit bedeutenden Opfern“ im 
Bereich des Möglichen, doch hätte es auch dazu einer geschickten Politik mit guter 
Unterstützung von Presse und Offentlichkeit in Deutschland und den ihm verbündeten 
Staaten bedurft. Im deutschen Sinne etwa auf der Grundlage des status duo ante 
bellum war ein Verständigungsfriede in den letzten zwei Kriegsjahren unmöglich. Die 
Alliierten hatten ihr festes Programm auf Grund ihrer der eigenen Überzeugung ent- 
sprechenden Interessen aufgestellt und ihre Kriegsziele durch bindende Verträge fest- 
gelegt. Sie waren nicht gesonnen, dieselben von dem Verhalten Deutschlands abhängig 
zu machen. Das hätte vorausgesetzt, daß sie sich als höchst bedroht und gefährdet und 
zu einem Verteidigungskrieg gezwungen fühlten. Sie selbst bestreiten es mit aller 
Entschiedenheit. Sie geben zu, daß sie den jungen deutschen Riesen, der ihnen zu 
mächtig wurde, dem sie, um sich einen Schein des Rechts zu geben, ehrgeizige Welt- 
eroberungspläne nachsagen und zugleich nach Art der Schulknaben behaupten, er habe 
„angefangen“, überwinden wollten, bevor es zu spät war, zu ihrer eigenen Sicherheit 
und zum angeblichen Schutze der kleinen Völker und der Freiheit der Welt. Man 
hat uns Selbstüberschätzung vorgeworfen. Diejenigen, welche sich die Dinge so vor- 
stellen, als habe die Entente sich an der Gurgel gefaßt gefühlt, als sei sie gern bereit 
gewesen, die versöhnende Hand zu bieten, wenn wir ihr Straf= und Schadlosigkeit 
zusicherten, scheinen mir von solcher Überschätzung auch heute noch nicht ganz frei zu 
sein. Der Kampf zwischen Annexionisten und Nichtannexionisten hat in Deutschland 
einen Rebel aufsteigen lassen, der auch dem Auge gewissenhafter und nach Wahrheit 
strebender Männer schwer durchdringlich erscheint. Vorgefaßte Meinungen und bittere 
Gefühle über das große Unglück tun das ihrige und hinzukommt, daß die Fühlung- 
nahmen nicht in ihrem ganzen Verlauf bekannt wurden, sondern nur einzelne Momente, 
Episoden gezeigt wurden, die ein unrichtiges Bild geben. In Österreich, wo ein solcher 
Kampf nicht tobte, ist die Atmosphäre klar geblieben, spielen Uneinigkeit und Zweifel 
über Verständigungsmöglichkeiten gar keine Rolle.
	        
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