488 XXXII. Verschiedenes aus der ersten Jahreshälfte 1918
6.
Schreiben an den Reichskanzler über unsere Ostpolikik.
Chef des Generalstabes des Feldheeres. Gr. H. Qu., den 9. 6. 1918.
Nr. R. 439 P.
An den Reichskanzler.
Euer Exzellenz darf ich um Erlaubnis bitten, im nachfolgenden
meine Ansichten über unsere militärisch-politische Lage im Osten mitzu-
teilen. Wir haben in Rücksicht auf unseren Menschenmangel die daselbst
stehenden Divisionen weiter schwächen müssen. Sie haben die Kraft, ihre
Okkupationsaufgaben zu erfüllen. Ihre Kraft reicht aber nicht aus, wenn
die Verhältnisse sich im Osten verschlechtern. Wir müssen uns für alle
Fälle bei der unklaren Haltung der schwachen Sowjet-Regierung nach
weiteren Bundesgenossen im Osten umsehen.
Im Norden ist es Finnland, das sich dank des mit Euer Exzellenz
Zustimmung vollzogenen Einmarsches militärisch festigt. Wir können
hoffen, daß wir in Finnland für alle Fälle eine gute militärische Unter-
stützung finden werden.
Die Ukraine hat es zur Bildung eines Heeres noch nicht gebracht.
Wir brauchen sie, um zu leben und uns mit Rohstoffen zu versorgen. Daß
wir Truppen dort verwenden, ist damit militärisch gerechtfertigt; sonst
wäre es ein Fehler.
In Geeorgien bietet sich Gelegenheit, ähnlich wie in Finnland, mit
schwachen Streitkräften unsere Macht zu vervielfältigen; wir müssen dort
die georgische Armee organisieren. Dazu ist die Anerkennung des geor-
gischen Staates und seine Inschutznahme unumgänglich nötig. Hinzu tritt
als ethisches Moment der Umstand, daß Georgien ein christlicher Staat
ist, dem wir seit langem große Hoffnungen gemacht haben. Die Aner--
kennung und Inschutznahme Georgiens durch Deutschland wird zugleich
das einzige Mittel sein, die begehrliche Türkei von Georgien fernzuhalten.
Sonst werden die Schwierigkeiten dort nicht aufhören. Ich bitte, die An-
wesenheit des Herrn Tschenkeli zu benutzen, dessen weitgehende Vollmachten
zu prüfen und darauf mit bezug auf Georgien, wie angedeutet, vorzugehen,
um unsere Kriegführung hier wie seinerzeit in Finnland zu unterstützen.
Mit Entschlüssen dürfen wir nicht solange warten, bis die ersten Berichte
des Generals v. Kreß vorliegen werden. Haben wir in Georgien einen
Stützpunkt, so ist zu hoffen, daß sich der Kaukasus nach und nach beruhigt
und wir von dort die uns so dringend notwendigen Rohstoffe beziehen
können.
Ich darf besonders hervorheben, daß wir mit der Türkei daselbst
werden rechnen und ihren Wünschen ein gewisses Entgegenkommen zeigen