Besprechungen über eine neutrale Friedensvermittlung u. d. Buriansche Friedensschritt 517
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10.
Am 14. September geht Graf Burian einseitig vor und erläßt seine Note
an alle kriegführenden Länder.
Die Note Osterreich-Ungarns an alle kriegführenden Mächte.
Wien, 14. September 1918. Amtlich wird verlautbart: Eine objektive ge-
wissenhafte Prüfung der Verhälktnisse aller kriegführenden Staaten läßt keinen Zweifel
mehr darüber bestehen, daß alle Völker, auf welcher Seite sie auch kämpfen mögen,
das baldige Ende des blutigen Kampfes herbeisehnen. Trotz dieses natürlichen und
begreiflichen Wunsches nach Frieden ist es bisher nicht gelungen, jene Vorbedingungen
zu schaffen, die geeignet wären, die Friedensbestrebungen ihrer Verwirklichung näher-
zubringen und die Kluft, die die Kriegführenden gegenwärtig noch voneinander trennt,
zu überbrücken. Es müssen daher wirksamere Mittel und Wege in Erwägung gezogen
werden, durch die den verantwortlichen Faktoren aller Länder Gelegenheit geboten
werden könnte, die gegenwärtig vorhandenen Möglichkeiten einer Verständigung zu
überprüsen. Der erste Schritt, den Österreich-Ungarn einvernehmlich mit seinen Bun-
desgenossen zur Herbeiführung des Friedens am 12. Dezember 1916 unternommen
hat, führte nicht zu dem gehofften Ende. Die Gründe hierfür lagen wohl in den
damaligen Verhältnissen. Um die in stetem Abnehmen begriffene Kriegelust ihrer
Völker aufrechtzuerhalten, hatten die verbündeten Regierungen bis zu jenem Zeit-
punkt jede Erörterung des Friedensgedankens mit den strengsten Mitteln unterdrückt,
und so kam es, daß der Boden für eine friedliche Verständigung nicht entsprechend
vorbereitet war. Es fehlte der natürliche Übergang von der wildesten Kriegshetze zur
Versöhnlichkeit. Es wäre aber verfehlt, zu glauben, daß unser damaliger Friedens-
schritt dennoch ganz ergebnislos blieb. Seine Früchte bestehen eben in jener nicht zu
übersehenden Erscheinung, daß die Friedensfrage seither nicht mehr von der Tages-
ordnung verschwunden ist. Und wenn auch die vor dem Tribunal der Offentlichkeit
geführten einschlägigen Diskussionen gleichzeitig Beweise von den nicht geringen
Gegensätzen sind, welche die gegeneinander kämpfenden Mächte in ihrer Auffassung
über die Friedensbedingungen heute noch trennen, so hat sich doch eine Atmosphäre
gebildet, welche die Erörterung des Friedensproblems nicht mehr ausschließt. Ohne
übertriebenen Optimismus kann wohl aus den Außerungen verantwortlicher Staats-
männer mindestens soviel konstatiert werden, daß der Wille, zu einer Verständigung
zu gelangen und den Krieg nicht ausschließlich durch die Macht der Waffen zur Ent-
scheidung zu bringen, auch bei den alliierten Staaten — bis auf einige gewiß nicht
gering einzuschätzende Ausnahmen von verblendeten Kriegshetzern — allmählich doch
durchzudringen beginnt. Die k. u. k. Regierung ist sich dessen bewußt, daß nach den
tiesgehenden Erschütterungen, die im Leben der Völker durch die verheerenden Wir-
kungen des Weltkrieges verursacht wurden, die ins Wanken gebrachte Weltordnung
nicht mit einem Schlage wird aufgerichtet werden können. Mühsam und langwierig
ist der Weg, der zur Herstellung friedlicher Beziehungen zwischen den durch Haß und
Erbitterung getrennten Völkern führt. Doch ist es unsere Pflicht, den Weg der Ver-
handlungen zu betreten.
Und wenn es auch heute noch solche verantwortlichen Faktoren gibt, die den
Gegner militärisch niederringen und ihm den Willen des Siegers aufzwingen wollen,
so kann doch kein Zweifel mehr darüber bestehen, daß dieses Ziel, angenommen, daß
es überhaupt erreichbar ist, ein weiteres blutiges und langwieriges Ringen zur Vor-
aussetzung hätte. Die für sämtliche Staaten und Völker Europas verhängnisvollen
Folgen einer solchen Politik würde aber auch ein späterer Siegfriede nicht mehr gut-
machen können. Nur ein Friede, der die heute noch auseinandergehenden Aufsassungen
der Gegner in einer gerechten Weise ausgleichen könnte, würde der von allen Völkern
ersehnte Friede sein.
In diesem Bewußtsein und unentwegt bemüht, im Interesse des Friedens tätig