Full text: Urkunden der Obersten Heeresleitung über ihre Tätigkeit 1916/18

Besprechungen über eine neutrale Friedensvermittlung u. d. Buriansche Friedensschritt 319 
  
inneren Probleme selbst lösen müsse, und daß niemand von außen her Deutschland 
eine Verfassung auferlegen könne. Mr. Lloyd George erklärte zu Beginn dieses 
Jahres, daß es nicht zu den Kampfzielen der Alliierten gehöre, ÖOsterreich-Ungarn zu 
zerteilen, das Ottomanische Reich seiner türkischen Provinzen zu berauben und 
Deutschland im Innern zu reformieren. Als symptomatisch kann auch gelten, daß 
Mr. Balfour im Dezember 1917 kategorisch die Annahme zurückwies, die englische 
Politik hätte sich jemals für die Schaffung eines selbständigen Staates aus den links- 
rheinischen Gebieten Deutschlands engagiert. 
Die Enunziationen der Mittelmächte lassen keinen Zweifel darüber, daß sie nur 
einen Verteidigungskampf um die Unversehrtheit und Sicherheit ihrer Gebiete führen. 
Weit ausgesprochener als auf dem Gebiet der konkreten Kriegsziele ist die An- 
näherung der Auffassungen hinsichtlich jener Richtlinien gediehen, auf deren Grund- 
lage der Friede geschlossen und die künftige Ordnung Europas und der Welt auf- 
gebaut werden soll. 
Präsident Wilson hat in dieser Richtung in seinen Reden vom 12. Februar und 
vom 14. Juli d. J. Grundsätze formuliert, die bei seinen Alliterten nicht auf Wider- 
spruch gestoßen sind und deren weitgehende Anwendung auch auf seiten der Vier- 
bundmächte keinem Einwande begegnen dürfte, vorausgesetzt, daß diese Anwendung 
allgemein und mit den Lebensinteressen der betreffenden Staaten vereinbar sei. Aller- 
dings ist zu bedenken, daß eine Übereinstimmung in den allgemeinen Grundsätzen nicht 
genügt, sondern es sich weiter darum handelt, über ihre Auslegung und über ihre 
Anwendung auf die einzelnen konkreten Kriegs= und Friedensfragen einig zu werden. 
Für einen unbefangenen Beobachter kann kein Zweifel darüber bestehen, daß in allen 
kriegführenden Staaten ohne Ausnahme der Wunsch nach einem Frieden der Ver- 
ständigung gewaltig verstärkt ist, daß sich immer mehr die Auffassung Bahn bricht, 
eine weitere Fortsetzung des blutigen Ringens müsse Europa in eine Trümmerstätte 
verwandeln und in einen Zustand der Erschöpfung versetzen, der seine Entwicklung 
auf Jahrzehnte hinaus lähmt, ohne daß eine Gewähr dafür bestände, durch sie jene 
Entscheidung durch die Waffen herbeizuführen, die von beiden Seiten in vier Jahren 
voll ungeheurer Opfer, Leiden und Anstrengungen vergeblich angestrebt wurde. 
Auf welchem Wege und auf welche Weise kann aber eine Verständigung an- 
gebahnt und schließlich erzielt werden? Besteht irgendeine ernste Aussicht, durch dle 
Fortführung der Diskussion über das Friedensproblem in der bisherigen Art zu 
diesem Ziele zu gelangen? Letztere Frage haben wir nicht den Mut zu bejahen. Die 
Diskussion von einer öffentlichen Tribüne zur anderen, wie sie bisher zwischen den 
Staatsmännern der verschiedenen Länder stattgefunden hat, war eigentlich nur eine 
Serie von Monologen. 
Es fehlte ihr vor allem die Unmittelbarkeit. Rede und Gegenrede griffen nicht 
ineinander ein, Sprecher sprachen aneinander vorbei. Anderseits war es die Öffent- 
lichkeit und der Boden dieser Auseinandersetzungen, die ihnen die Möglichkeit eines 
fruchtbaren Fortschreitens raubten. Bei allen öffentlichen Kundgebungen dieser Art 
wird eine Form der Beredsamkeit angewendet, die mit der Wirkung auf große Distanz 
und auf die Massen rechnet. Damit vergrößert man aber — bewußt oder unbewußt — 
den Abstand von der gegnerischen Auffassung, erzeugt Mißverständnisse, die Wurzel 
fassen und nicht beseitigt werden, und erschwert den freimütigen, einfachen Gedanken- 
austausch. Jede Kundgebung der führenden Staatsmänner wird, sowie sie statt- 
gefunden hat und auch ehe die zuständigen Stellen der Gegenseite darauf erwidern 
können, zum Gegenstande einer leidenschaftlichen oder übertreibenden Besprechung 
unverantwortlicher Elemente. Aber auch die verantwortlichen Staatsmänner selbst 
veranlaßt die Besorgnis, die Interessen der Kriegführung durch ungünstige Beein- 
flussung der Stimmung in der Heimat zu gefährden und die eigenen letzten Absichten 
vorzeitig zu verraten, zum Anschlagen hoher Töne und zum starren Festhalten an 
extremen Standpunkten. 
Soll also der Versuch unternommen werden, zu prüfen, ob für eine Verständi- 
gung, die die Katastrophe einer selbstmörderischen Fortsetzung des Kampfes von
	        
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