Das Friedens- und Waffenstillstandsangebot und die Revolution von oben 559
würden wir die Hafervorräte verlieren, außerdem würde eine große Anzahl von
Menschen, die bis jetzt von drüben ernährt worden sind, hier ernährt werden müissen.
Euere Exzellenz stellen jetzt die Gegenfrage, welchen Wert hat die Ukraine in den
Augen der Reichsleitung für die Ernährung Deutschlands.
General Ludendorff: Ja. Wir haben anderthalb Millionen Tonnen aufgekauftes
Getreide, das schon zu rollen beginnt.
Der Reichskanzler: Ich eröffne hierüber die Debatte.
Graf Roedern: Die beiden Staatssekretäre des Reichswirtschaftsamts und des
Kriegsernährungsamts sind nicht anwesend. Es besteht Meinungssverschiedenheit
zwischen ihnen. Das Kriegsernährungsamt wünscht die Ukraine weiter zu benutzen,
das Reichswirtschaftsamt ist sehr skeptisch. Soweit ich die Lage aus dem mir mit-
geteilten Schriftwechsel übersehen kann, scheint mir die Ansicht des Herrn Staatssekretärs
des Reichswirtschaftsamts die begründetere. Jedenfalls ist, was wir für die Ziovil-
bevölkerung aus der Ukraine bekommen haben, außerordentlich geringfügig, sehr viel
höher der Wert dessen, was für das Heer geleistet worden ist und jetzt aus der
Heimat beschafft werden muß. Hat das Heer noch Viehbestände aus der Ukraine
bekommen?
General Ludendorff: Einen Unterschied zwischen Heer und Zivil kann man nicht
machen. Es ist ein großer Wirtschaftstopf, und ob das Vieh aus der Ukraine für
das Heer oder für das Zivil gebraucht wird, ist gleichgültig. Wir müssen das Vieh
haben; woher wir es bekommen, darüber kann ich mir nicht den Kopf zerbrechen.
Übrigens kommt noch die Kriegsrohstofffrage dazu. Wir verlieren jetzt auch das Kupfer-
bergwerk Bor, weil die Serben es wieder nehmen; wenn wir auch Belgien räumen,
so wird die Wirtschaftslage so gespannt, daß wir gar nicht wissen, wie wir den Krieg
weiter führen wollen. Gehen wir also gleichzeitig im Osten und im Westen zurück,
so brechen wir zusammen.
Staatssekrekär Solf: Der Vertreter des Auswärtigen Amts in der Ukraine hat
mir gestern Vortrag gehalten über die dortigen Verhältnisse. Dem wirtschaftlichen Teil
seines Berichts möchte ich entnehmen, daß der Wert der Ukraine für die Verpflegung
des Heeres ein ganz immenser ist, und da können wir keinen Unterschied machen, wer
diese Vorräte zuerst verbraucht. Der wirtschaftliche Wert des Landes ist in jedem Fall
sehr beträchtlich.
Ich habe dann Herrn von Mumm gefragt, was in der Ukraine geschehen würde,
wenn wir die deutschen Truppen wegnehmen. Er war ganz sicher, daß dann die Bol-
schewiken in der wildesten, fürchterlichsten Weise hausen würden. Alle Reichen würden
geköpft werden.
General Ludendorff: Auch das müßten wir in Kauf nehmen, selbst wenn es gegen
Treu und Glauben geht, wenn es für das Heil des deutschen Vaterlandes nötig wäre.
Ist die Räumung nötig oder nicht nötig für Deutschland ? Wenn ja, muß sie gemacht
werden trotz aller schauderhaften Folgen.
Graf Roedern: Die Frage kann nur nach den jetzt vorliegenden Ernteschätzungen
beantwortet werden. Dazu brauchen wir den Staatssekretär des Kriegsernährungs-
amts.
Scheidemonn: Wenn wir alle diese Fragen der Ernährung und des Bolschewis-
mus beiseite lassen, so bleibt immer noch die Frage, ob die Westfront nach drei Mona-
ten noch stehen wird oder bis dahin ein Durchbruch erfolgt?
General Cudendorff: Ich habe schon dem Herrn Reichskanzler gesagt, ich halte
einen Durchbruch für möglich, aber nicht für wahrscheinlich. Innerlich wahrscheinlich
halte ich den Durchbruch nicht. Wenn Sie mich auf mein Gewissen fragen, kann ich nur
antworten, ich fürchte ihn nicht.
Der Reichskanzler: Ich gehe auf die zweite Frage über:
Ist die Heimat bereit, der Obersten Heeresleitung das nötige Menschenmaterial
zur Verfügung zu stellen?
Wir müssen aber auch vorher wissen, ob es technisch möglich ist, das nötige Ma-
terial auszuheben.