Full text: Urkunden der Obersten Heeresleitung über ihre Tätigkeit 1916/18

Denkschrift vom Dezember 1912 53 
  
  
Tagen mit einem hierher gesandten Vertreter des italienischen Generalstabes 
gehabt habe. Unter allerlei Vorwänden wird JItalien, wie ich festgestellt 
habe, seine dritte Armee, deren Transport an den oberen Rhein seit langen 
Jahren von uns bearbeitet ist, nicht schicken. Damit fallen für Deutschland 
fünf Armeekorps und zwei Kavallerie-Divisionen gegen Frankreich aus. 
Diesem und England gegenüber werden wir ohne direkte Hilfe allein 
dastehen. 
Ferner darf bei der Einschätzung der militärischen Machtmittel des 
Dreibundes über die Augenblickslage hinaus nicht übersehen werden, daß 
zwar zur Zeit ein Zusammengehen Österreichs und Italiens stattfindet, daß 
aber aller Wahrscheinlichkeit nach, wenn die Balkanfrage geregelt sein wird, 
der latente Gegensatz zwischen den beiden Mächten wieder in den Vorder- 
grund treten und eine österreichische Aktion gegen Rußland schwächen wird. 
Abgesehen hiervon wird diese Regelung der Balkanfrage, wenn sie für 
ÖOsterreich nicht in der Form eines vollen Sieges — sei es politisch oder 
militärisch — erfolgt, für den Dreibund einen Verlust an Prestige, für 
Österreich selbst eine unberechenbare Schwächung zur Folge haben. Die 
Monarchie wird damit unaufhaltsam der inneren Zersetzung verfallen. Das 
muß man im Auge behalten. 
Der Dreibund ist als Defensiobündnis geschlossen worden. Er trägt 
alle Schwächen eines solchen in sich. Wird einer der drei verbündeten 
Staaten angegriffen, so müssen die beiden anderen für ihn eintreten, also, 
ohne selbst angegriffen zu sein, in einen Krieg ziehen, für den vielleicht in 
der Nation weder Neigung noch Verständnis vorhanden ist. Nur dann 
aber, wenn das gesamte Volk von der Erkenntnis durchdrungen ist, daß mit 
der Schädigung der Bundesgenossen auch eigene Lebensinteressen gefährdet 
sind, wird die Opferwilligkeit in ihm aufleben, deren jeder Staat in unserer 
Zeit, die keine Kabinettskriege mehr will, bedarf, um einen energischen Krieg 
führen zu können. 
Ebenso wie der Dreibund bezeichnet sich die Triple-Entente als ein De- 
fensivbündnis, aber während der Gedanke der Abwehr dem Dreibundabkom- 
men in ausgesprochenster Weise zugrunde liegt, sind in der Triple-Entente 
starke offensive Tendenzen vorhanden, d. h. positive Ziele, deren Erreichung 
den in ihr vereinigten Staaten erstrebenswert erscheinen muß: Rußland hat 
den begreiflichen Wunsch, sich durch Niederwerfung Österreichs als flawische 
Vormacht in Europa durchzusetzen, durch Vermittlung Serbiens sich den Weg 
zur Adria zu öffnen. Österreich hat das defensive Interesse, dies zu 
hindern. 
Frankreich hat den Wunsch, die verlorenen Provinzen wiederzugewin- 
nen und Revanche zu nehmen für die Niederlagen von 1870. Deutschland 
will dagegen nur seinen Besitzstand wahren.
	        
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